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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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als sei
ich am Strand, als paddelten meine Mutter und Schwester im seichten Wasser
umher, als warte ein Becher Eis auf mich, wenn ich müde vom Schwimmen an den
Strand zurückkehre. In meiner Fantasie bin ich nicht von zersplitterten Balken
und verbogenen Stahlteilen umgeben. Die Elpis brennt
nicht, und es steigen keine zähen, nach Treibstoff stinkenden Rauchwolken auf.
Der gegen die Betondocks von Piräus geworfene Bug der Fähre sieht nicht aus wie
eine Ziehharmonika, und ihr Heck ragt nicht halb aus dem Wasser wie ein
gestrandeter Wal, der die Orientierung verloren hat und nun zum Sterben
verurteilt ist.
    Seevögel kreisen über mir. Ihre Schreie sind Grabgesänge. Für sie
bin ich nicht mehr als ein großer Fisch. Ihre Obsidianaugen beobachten mich,
suchen nach Zeichen der Schwäche, aber ich werde nicht aufgeben. Ich werde
nicht aufgeben.
    Und doch, wie schön müsste es sein, einfach loszulassen.
    Ich schließe die Augen, nur einen Moment lang, und als ich sie
wieder öffne, ist die Sonne hinter die Wolken gewandert, und auch ich habe
meine Lage verändert. Die Flut schiebt mich auf die birnenförmige
Betonbefestigung der Kaianlagen zu, ehe sie es sich anders überlegt und mich
zur Seite zerrt, parallel zum Ufer, in den Weg einer Jacht, die gerade
einläuft. Wir stoßen zusammen. Es ist ein kleiner Schubs für das Boot, aber ein
heftiger Schlag gegen meine Schulter. Salzige Tränen füllen meine Augen, rollen
über meine Wangen und vermischen sich mit dem Meerwasser, das mir ins Gesicht
schwappt.
    Â»Amerika!«
    Ich strample mit den Füßen, bis ich wieder in Richtung Ufer
schwimme. Der Schweizer ist bereits an Land. Lisa ebenfalls. Sie kniet keuchend
am Boden und versucht so viel Sauerstoff wie möglich einzusaugen. Aber der
Schweizer steht aufrecht da, breitbeinig, die Hände in die Hüften gestemmt, die
Lippen zu einem grausamen Lächeln verzogen, das so typisch für ihn ist.
    Sie lebt. Ich lebe. Bis hierher haben wir es geschafft.
    Â»Amerika, brauchst du Hilfe?«
    Ja, aber auf seine Art von Hilfe kann ich verzichten. Hilfe, die
etwas kostet, ist keine echte Hilfe. Also kämpfe ich mich allein zum Ufer,
mitten im großen Hafen von Piräus, hinter dem das Land zum Himmel aufsteigt,
sein Rückgrat ein verschlungenes Spalier aus Häusern und Straßen. Das hier ist
ein zweites Brindisi, mit großen Schiffsleichen, die in den Hafenbecken vor
sich hin rosten. Im Lauf der Zeit werden sie untergehen, wenn niemand die abblätternden
roten Blasen flickt und das Meerwasser erst einsickert und dann einströmt.
    Ich bin erschöpft, und meine Arme schmerzen, als sie gegen das immer
zähere Wasser ankämpfen.
    Â»Du schaffst es nicht«, ruft er mir zu.
    Mein Kopf ist schwer, meine Arme sind es auch. Mein ganzer Körper
sehnt sich danach, einfach im Meer zu versinken. Ein träger Nebel wabert durch
meine Gedanken. Ich blinzle, schüttle den Kopf, versuche eine Schneise zu
schlagen, aber er lässt sich nicht vertreiben. Das Ufer ist zu weit entfernt.
Viel zu weit.
    Â»Vorwärts, Amerika!« Er bückt sich, hebt einen zerschlissenen
Rettungsring auf, schwenkt ihn durch die Luft, verkündet seinen Sieg mit diesem
behelfsmäßigen Banner.
    Wieder ein von Schmerzen begleiteter Zug.
    Â»Vielleicht brauchst du einen Ansporn. Die meisten Amerikaner
strengen sich nur für Geld an. Aber du … bist anders.« Er dreht sich um und
deutet auf Lisa. »Für sie würdest du alles tun, obwohl sie praktisch wertlos
ist.«
    Â»Nein«, beginne ich, doch im gleichen Moment schwappt mir eine Welle
ins Gesicht. Das Salzwasser dringt mir in Mund und Nase, brennt in meinen
Augen. Ich schlucke und würge. Oben auf dem Betondock holt der Schweizer mit
einem Fuß aus. Schau, höhnen seine eiskalten Augen. Ich habe alles unter Kontrolle. Ich besitze Macht, während du gar
nichts tun kannst.
    Nein. Nein. Nein.
    Er versetzt Lisa einen harten Tritt in die Rippen. Sie bricht
stöhnend zusammen. Wieder schwappt eine Welle über mich hinweg. Ich halte den
Atem an, lege den Kopf in den Nacken, ringe nach Luft. Als ich wieder die Augen
öffne, sehe ich, dass mich der Schweizer beobachtet.
    Â»Los, schwimm! Faule Amerikanerin!« Diesmal rammt er Lisa die
Stiefelspitze in die Schulter. Sie schreit auf.
    Wut lodert in mir auf wie ein Waldbrand. Angestachelt von dieser
Wut, mobilisiert mein Körper aus dem

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