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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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schreibt er seinen
Namen mit Anschrift, Telefonnummer und E-Mail-Adresse. »Nur für den Fall, dass
irgendwann das Internet wieder funktioniert. ›Niemals die Hoffnung aufgeben‹,
sagt meine Mom immer.« Er reicht mir den Zettel und verstaut die übrigen drei
wieder in seiner Tasche.
    Dann wartet er, bis ich die Karte eingesteckt habe.
    Â»Kochen Sie gern?«
    Â»Klar doch.«
    Â»Ich koche sehr gern. Gestern habe ich Mini-Pizzas in
Muffin-Backförmchen gemacht. Und die waren fast nicht angebrannt.« Den Rest der
Fahrt redet er vom Kochen. Ich nicke oder werfe ab und zu die Antwort ein, die
er hören will. Denn ich habe einen Entschluss gefasst: Ich werde ihm alles
erzählen. Aber nicht hier. Und das sage ich ihm erst, als ich aussteige.

DREIZEHN
    ZEIT: JETZT
    Ich muss wach bleiben. Ich kann mich nicht ausruhen.
Zumindest nicht mit geschlossenen Augen. Wir sind in einem Warenhaus. Auf dem
Podest, das Lisa als Unterlage dient, standen früher wohl Schaufensterpuppen,
ausstaffiert mit den Modellen der neuen Saison. Ich habe mich im Schneidersitz
neben ihr auf dem Boden niedergelassen und presse die Ellbogen fest gegen die
Knie. Während der Druck in meinen Schläfen zunimmt, wird mein Nacken immer
schwächer. Ich muss den Kopf mit beiden Händen stützen, damit er nicht nach
vorn auf meine Brust sinkt.
    Lisa blutet. Das hat spätabends angefangen und sich im Lauf der
Nacht verstärkt. Erst ein paar rote Schmierer, dann ein stetes Tropfen.
Inzwischen breitet sich ein furchtbares Gemälde an der Innenseite ihrer
Schenkel aus.
    Der Tod lauert, aber noch bin ich nicht bereit, ihm seine Beute zu
überlassen. Hau ab!, schreie ich stumm, denn jeder
Laut würde sie erschrecken. Sie ist aschfahl. Wenn das so weitergeht, wird sie
verbluten. Ich weiß nicht einmal, was ich tun muss, um das verlorene Blut zu
ersetzen. Es erscheint mir aussichtslos – zumindest in dieser Welt.
    Lisa weiß, dass ich sie beobachte.
    Â»Mach dir nicht so viele Sorgen, Zoe. Ich bin okay.«
    Von okay sein kann nicht die Rede sein. Ihr Zustand hat nicht einen
Buchstaben mit dem Wort okay gemeinsam. Das
Allermindeste ist, dass ich mich auf die Suche nach einer Drogerie oder
Apotheke mache. Sie braucht Antibiotika. Aber ich kann sie weder allein lassen
noch mitnehmen. Ich wollte, der Schweizer wäre hier. Nein, ich bin froh, dass
er nicht hier ist. Ich wollte, meine Mutter wäre hier oder Jenny oder Morris.
Ich wollte, Nick wäre hier. Er wüsste bestimmt, was zu tun ist. Bei ihm wäre
sie in Sicherheit, bis ich alles Nötige besorgt hätte.
    Â»Ich bin okay«, wiederholt Lisa. Ihre Worte klingen undeutlich.
»Komm, wir schlafen beide. Oder erzähl mir zuerst, wohin wir gehen.«
    Â»Der Ort liegt weiter im Norden. Ein Dorf namens Agria. Es liegt am
Meer, in einem Golf.«
    Â»Golf?«
    Â»Du weißt nicht, was ein Golf ist?«
    Â»Nein.«
    Irgendwo zwischen der Sehnsucht nach Schlaf und dem Zorn darüber,
dass sich die Müdigkeit nicht verdrängen lässt, passiert es.
    Ich träume von Sam. Er sitzt in einem Wagen, dem damaligen
Unfallwagen, und sein Zustand ist hoffnungslos. Blutiger Schaum quillt ihm aus
dem Mund. Seine Mutter ist ebenfalls da. Sie feilt sich die Fingernägel.
    Du kannst nicht alle Menschen retten, sagt
Sam zu mir.
    Sie kann es zumindest versuchen, wirft
seine Mutter ein .
    Sie streiten hin und her, während ich herauszufinden versuche, was
da so tropft. Wahrscheinlich Benzin. Vielleicht auch Blut. Nach einer Weile
geht mir ihr Gezanke auf die Nerven.
    Wie soll ich je mein Pfadfinder-Abzeichen
kriegen, wenn ich sie nicht alle rette?, frage ich.
    Darauf wissen sie beide keine Antwort. Meine frühere Schwiegermutter
legt die Feile auf das Armaturenbrett, schließt die Augen und hört zu atmen
auf, als sei sie einfach zu stur, etwas anderes zu tun als zu sterben.
    Sam blickt mich an und lächelt mit blutigen Lippen.
    Ich hätte dich eines Tages bestimmt geliebt, sage ich.
    Hör auf, Abzeichen zu sammeln, entgegnet
er. Am Ende sind sie doch nicht wichtig.
    Dann wache ich auf. Sam und seine Mutter sind fort – und Lisa
ebenfalls. Nur dass sie diesmal eine Spur hinterlassen hat. Kleine Blutstropfen
führen den Gehsteig entlang, eine morbide Fährte von Brotkrümeln. Sie heben
sich hellrot vom Pflaster ab. Frisch.
    Ich folge der Spur und versuche mich an das Märchen von Hänsel und
Gretel zu erinnern. Die

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