Wicked - Die Hexen von Oz
sind also ohne Muhmen da, wenn ich recht verstehe«, sagte Madame Akaber ein wenig naserümpfend. »Da Beaufsichtigung bei uns vorgeschrieben ist, werde ich Sie auf die drei Schlafsäle für Erstsemester verteilen, in denen jeweils fünfzehn Mädchen untergebracht sind. Der Schlafsaal bedeutet keine soziale Benachteiligung, möchte ich hinzufügen. Nicht die geringste.« Das war gelogen, und nicht einmal sehr überzeugend.
Galinda stand endlich auf. »Bitte, Madame Akaber, da liegt ein Versehen vor. Ich bin Galinda von Arduenna. Meine Muhme hat sich auf der Fahrt einen Nagel in den Fuà getreten und ist deswegen ein oder zwei Tage verhindert. Ich gehöre nicht in die Schlafsaalklasse, Sie verstehen.«
»Wie misslich für Sie«, sagte Madame Akaber lächelnd. »Ich bin sicher, Ihre Muhme wird mit Freuden die Aufsicht in, sagen wir, dem Rosa Schlafsaal führen? Dritter Stock rechts â«
»Nein, nein, das wird sie nicht«, unterbrach Galinda sie beherzt. »Ich bin nicht hier, um in einem Schlafsaal zu landen, ob rosa oder sonst wie. Das haben Sie missverstanden.«
»Ich habe gewiss nichts missverstanden, Damsell Galinda«, sagte Madame Akaber, und dabei machten ihre vorquellenden Augen sie noch fischartiger. »Es gibt Missgeschicke, es gibt Verspätungen, es gibt Entscheidungen, die zu treffen sind. Da Sie durch das Ausbleiben Ihrer Muhme nicht imstande waren, Ihre eigene Entscheidung zu treffen, bin ich befugt, für Sie zu entscheiden. Bitte, es gibt viel zu tun, und ich muss die anderen Mädchen benennen, die mit Ihnen den Rosa Schlafsaal beziehen werden.«
»Ich hätte gern unter vier Augen mit Ihnen gesprochen, Madame«, sagte Galinda in höchster Verzweiflung. »Für mich selbst ist Schlafsaal oder Doppelzimmer nicht von Belang. Aber ich rate Ihnen sehr, nicht von meiner Muhme zu verlangen, dass sie andere Mädchen beaufsichtigt, und zwar aus Gründen, die ich nicht öffentlich sagen möchte.« Sie log schneller, als sie denken konnte, und besser als Madame Akaber, die immerhin interessiert wirkte.
»Das ist ziemlich haarsträubend, was Sie da erzählen, Damsell Galinda«, sagte sie milde.
»Ich darf Sie beruhigen, Madame Akaber, Ihnen sträubt sich kein einziges Härchen.« Galinda brachte ihre dreiste Pointe mit ihrem holdesten Lächeln an.
Madame Akaber beschloss zu lachen, Lurlina sei Dank! »Ein kesses Persönchen! Sie können heute Abend in meine Privatwohnung kommen und mir die Geschichte von den Unzulänglichkeiten Ihrer Muhme erzählen, denn davon sollte ich Kenntnis haben. Aber ich will Ihnen entgegenkommen, Damsell Galinda. Ihr Einverständnis vorausgesetzt werde ich Ihre Muhme bitten müssen, sowohl Sie als auch ein anderes Mädchen zu beaufsichtigen, das ohne Muhme erschienen ist. Denn wie Sie sehen, sind alle anderen Studentinnen mit Begleitung bereits in Paare eingeteilt, nur Sie allein sind noch übrig.«
»Ich bin sicher, dass meine Muhme wenigstens das bewerkstelligen könnte.«
Madame Akaber überflog die Namensliste und sagte: »Nun gut. Ein Doppelzimmer mit Damsell Galinda von Arduenna teilt sich ⦠wie wärâs mit der Thropp dritten Gliedes aus Nestenhartung, Elphaba?«
Niemand rührte sich. »Elphaba?«, wiederholte Madame Akaber, wobei sie ihre Armreife zurechtrückte und zwei Finger an den Halsansatz legte.
Das Mädchen war ganz hinten im Saal, eine ärmliche Erscheinung in rotem Kleid mit geschmackloser Lochstickerei und klobigen Alte-Leute-Stiefeln. Zuerst glaubte Galinda an eine Sinnestäuschung durch das von den überwachsenen Nebengebäuden reflektierte Licht. Doch als Elphaba mit ihren Reisetaschen angeschlurft kam, wurde deutlich, dass sie tatsächlich grün war. Ein Mädchen mit messerscharfem Gesicht, ekelhafter Haut und langen, fremdländisch aussehenden schwarzen Haaren. »Geboren in Munchkinland, als Kind aber viele Jahre in Quadlingen verbracht«, las Madame Akaber aus ihren Unterlagen vor. »Wie faszinierend für uns alle, Damsell Elphaba. Wir sind schon ganz gespannt auf Ihre Geschichten von exotischen Sitten und Gebräuchen. Damsell Galinda und Damsell Elphaba, hier sind Ihre Schlüssel. Sie haben Zimmer 22 im ersten Stock.«
Sie lächelte Galinda breit an, als die beiden vortraten. »Reisen ist ungemein bildend«, flötete sie. Galinda zuckte zusammen, als
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