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Wicked - Die Hexen von Oz

Wicked - Die Hexen von Oz

Titel: Wicked - Die Hexen von Oz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Maguire
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Lehmwänden, wie gebrechliche Omis beiderseits von kräftigeren, jüngeren Verwandten gestützt. Ansonsten waren sämtliche Baustile in beispielloser Vollständigkeit zu bewundern: die Blutsteinzeit, die Merthik (die frühe ebenso wie die verspieltere späte), die Galantik mit ihrer Vorliebe für Symmetrie und Maß, der Galantizismus mit den überhandnehmenden Karniesen und gesprengten Giebeln, die Neoblutsteinzeit, die Imperialbombastik und der Industriestil oder, wie die Kritiker in der liberalen Presse sich ausdrückten, der Hostile Hochvulgarismus, der Stil, der von dem modern denkenden Zauberer von Oz gefördert wurde.
    Außerhalb der Architektur hielten sich die aufregenden Erlebnisse freilich in Grenzen. Nur eines denkwürdigen Tages, den keine der beteiligten Grattler-Kollegiatinnen jemals vergaß, hatten sich ältere Jungen aus dem Drei-Königinnen-Kolleg auf der anderen Kanalseite aus Jux und Tollerei mitten am Nachmittag mit Bier Mut angetrunken, einen Geige spielenden Eisbären angeheuert und sich ansWasser begeben, um unter den Weiden gemeinsam zu tanzen, bekleidet nur mit ihren nach dem Baden am Leib klebenden Baumwollunterhosen und ihren Schulschals. Es wirkte wunderbar heidnisch, denn sie hatten eine alte beschädigte Statue der Feenkönigin Lurlina auf einen dreibeinigen Hocker gestellt, und sie schien über ihre gelenkige Lustbarkeit hold zu lächeln. Die Mädchen und die Muhmen taten schockiert, aber nur pro forma; sie blieben und äugten hinüber, bis ein paar entsetzte Aufseher vom Drei-Königinnen herbeigestürzt kamen und die Zecher ins Haus trieben. Halbnacktes Treiben war eine Sache, aber öffentlicher Lurlinismus, und sei es nur spaßeshalber, war fast schon verboten reaktionär, ja royalistisch. Und so etwas wurde unter der Herrschaft des Zauberers nicht geduldet.
    Eines Samstagabends – die Muhmen hatten ausnahmsweise einmal frei und waren zu einer freudistischen Versammlung im Ticknor-Zirkus gegangen – hatte Galinda einen kleinen albernen Streit mit Fanny und Schenschen, woraufhin sie sich früh auf ihr Zimmer zurückzog, angeblich wegen Kopfschmerzen. Elphaba saß auf dem Bett, in die obligatorische braune Decke gehüllt. Wie üblich war sie über ein Buch gebeugt, und die Haare hingen ihr an beiden Seiten herab wie Gardinen. Sie kam Galinda vor wie eine dieser Radierungen aus den Naturkundebüchern von absonderlichen winkischen Bergfrauen, die sich hinter einem vors Gesicht gezogenen Kopftuch versteckten. Elphaba nagte an einem Apfelgriebs, nachdem sie den restlichen Apfel offenbar verzehrt hatte. »Na, Sie scheinen es sich ja gemütlich gemacht zu haben, Damsell Elphaba«, sagte Galinda in provozierendem Ton. Nach drei Monaten war es die erste persönliche Bemerkung zu ihrer Stubenkameradin, zu der sie sich überwinden konnte.
    Â»Der Schein kann trügen«, erwiderte Elphaba, ohne aufzuschauen.
    Â»Stört es Ihre Konzentration, wenn ich mich vors Feuer setze?«
    Â»Sie werfen einen Schatten, wenn Sie gerade dort sitzen.«
    Â»Oh, Verzeihung«, sagte Galinda und rutschte ein Stück. »Schatten werfen darf natürlich nicht sein, wenn wichtige Dinge gelesen sein wollen, nicht wahr?«
    Elphaba war schon wieder in ihr Buch versunken und gab keine Antwort.
    Â»Was um alles in der Welt lesen Sie da eigentlich Tag und Nacht?«
    Elphaba schien aus einem einsamen stillen Teich aufzutauchen. »Ich lese durchaus nicht jeden Tag dasselbe Buch. Heute Abend sind es Reden der frühen unionistischen Väter.«
    Â»Wie kommt man darauf, so etwas zu lesen?«
    Â»Keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, ob ich sie wirklich lesen will. Ich lese sie halt.«
    Â»Aber warum? Damsell Elphaba die Deliröse, warum, warum?«
    Elphaba blickte auf und lächelte Galinda an. »Elphaba die Deliröse. Das gefällt mir.«
    Bevor sie es verhindern konnte, hatte Galinda zurückgelächelt. Im selben Moment warf ein Windstoß eine Handvoll Hagel an die Fensterscheibe, und der Riegel brach. Galinda drückte den Flügel eilig wieder zu, doch Elphaba verzog sich in den hintersten Winkel des Raums, um ja nicht nass zu werden. »Geben Sie mir den ledernen Gepäckriemen, Damsell Elphaba, aus meiner Tasche – dort auf dem Bord, hinter den Hutschachteln, ja, genau –, dann mache ich damit das Fenster fest, bis wir es morgen vom Hausmeister repariert

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