Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)
Platz in unserem Leben bekommen und mich beim Kindersitting entlasten. KESKO vergab leider nur halbe Stellen, da war nicht mehr zu holen, und Frau Sanders brauchte auch nur gelegentlich Hilfe im Haushalt. Aber vielleicht konnte man ja Ingo Gewissensbisse einreden wegen der Kündigung? Die ließen sich gewinnbringend nutzen, und wenn nur als heruntergesetztes Laufdress oder einen kostenlosen Trainingsplan. Schließlich tickte die Uhr, und die verhängnisvolle Reportage rückte immer näher.
Gesagt, getan. Kurz nach neun erreichte ich meine Nicht-mehr-Arbeitsstelle und fand den Nicht-mehr-Chef bester Laune vor. Er hatte seinen Zögling reihum vorgestellt und bei der diensthabenden Thekenkraft abgegeben, damit sie ihm die ersten Schritte beibringen konnte. So hatte Ingo Zeit und strahlte mich an.
„Herzlichen Glückwunsch, Yvi!“
Die neue PEPITA war doch noch gar nicht draußen …
„Na zum Baby!“
„Ach das … vielen Dank. Ist eigentlich schon wieder Schnee von gestern.“ Erleichtert pustete ich eine Strähne aus dem Gesicht und setzte den Reh-Blick auf. „Ingo, kann ich mit dir reden?“
„Natürlich können wir reden, Yvi! Wenn es wegen der Stelle ist – tut mir echt leid, aber …“
„Nein, darum geht es nicht.“
„Nicht? Na gut. Am besten gehen wir ins Büro, da sind wir ungestört.“
Ich nahm ihn beim Wort und blubberte alles heraus. Vom unseligen Brief an PEPITA über deren Redaktions-Angebot bis hin zu Andreas Plan, mich zum Berlin-Marathon zu begleiten. Da unsere überwiegend weiblichen Studiogäste ihn sowieso über jede Kleinigkeit der Reportage informieren würden, ließ ich nicht einmal das fehlende Sportdress aus.
„Berlin-Marathon? Aber sonst geht es dir gut, oder?“ Zu Ingos Ehrenrettung muss ich sagen, dass er sich wirklich bemühte, ein angemessen ernstes Gesicht zu machen.
„UndimMaisollichbeimMülheimerHalbmarathonstarten“, nuschelte ich und starrte auf meine Schuhe.
„Wie bitte? Ich hab dich nicht verstanden.“
„Doch, hast du. Ich soll zur Probe schon mal den Halbmarathon in Mülheim laufen.“
Der erfahrene Fitnesstrainer ließ sich meine Worte auf der Zunge zergehen und runzelte die Stirn. „Du machst vielleicht Sachen!“ Immerhin lachte er nicht. „Sechs Monate bis Berlin, von Mülheim wollen wir gar nicht erst reden. Da hast du dir ganz schön was vorgenommen, bist du sicher, dass du das willst?“
„Was heißt hier wollen, ich muss! Ansonsten werden sie mich hängen, vierteilen oder noch Schlimmeres. Ehrlich, Ingo, wenn ich es nicht wenigstens bis ins Ziel schaffe, bin ich erledigt! Ab da habe ich wieder einen Plan, aber so lange …“ Ich stöhnte. „Sag was, irgendwas Nettes. Du bist doch Profi, da wird dir schon was einfallen!“
„Tut mir Leid, Yvi, dafür bin ich nicht der Richtige.“ Er lachte immer noch nicht. „Aber weil ich nicht zusehen kann, wie ein netter Mensch in sein Unglück läuft, werde ich es trotzdem versuchen. Ich kenn sogar jemanden, der uns weiter helfen könnte. Bist du die Marathon-Strecke überhaupt schon gelaufen? Oder wenigstens den Halbmarathon?“
Ich zuckte die Schultern. Wen interessierte das? „Nicht wirklich. Ich hatte Sport-Leistungskurs im Abi und bin während des Studiums oft gelaufen, aber das ist lange her. Heute laufe ich hin und wieder die zehn Kilometer, aber nicht regelmäßig, und meine Zeiten kenne ich auch nicht.“
Sein Gesicht verfinsterte sich. „42 Kilometer sind ein andere Schuhnummer, Yvi. Dafür musst du richtig trainieren, länger als sechs Monate.“
Yvi kommt in den Kna-ast!
Fast zärtlich legte er seine Finger auf meinen Mund und verhinderte weiteren Protest. „Ich habe zwar aus meiner Zeit als Handball-Trainer etwas Erfahrung, aber damit bin ich überfordert. Ehrlich, da muss ein Fachmann ran. Bis dahin sollten wir die Zeit nutzen und an deiner Grundkondition arbeiten. Wie ist dein Laufplan?“
„Plan? Verträgt sich nicht mit Teenagern und Babywindeln.“
Mein Ex-Chef, Mentor und irgendwie auch Freund schüttelte den Kopf. „Ohne Plan kannst du das Ganze vergessen. Wenn ich dir helfen soll, ins Ziel zu kommen, musst du mein Training akzeptieren. Oder du springst ins kalte Wasser und hoffst, dass du nicht ertrinkst.“
„So schlimm?“
„Noch schlimmer.“
Was blieb mir übrig als zu akzeptieren?
Als erstes führte Ingo einen Fitness-Check durch. Bei dem ich erfreulich gut abschnitt, weit besser als befürchtet. Anschließend verschaffte er sich in einer endlos scheinenden
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