Wickelkontakt - Roman
Früh- und Spätschichten auch nach über einem Jahr nicht gewöhnt hatte. Den wirklichen Gründen mochte ich mich nicht stellen.
Gegen achtzehn Uhr am nächsten Tag hatte ich schon mehrere Stunden lang verschiedene Outfits aus- und anprobiert, drei Gläser Prosecco getrunken, mich erst dunkel, dann hell, dann unauffällig, dann wiederum dunkel geschminkt, festgestellt, dass ich einfach NICHTS zum Anziehen hatte, dass ich sowieso VIEL zu fett war, zum zehnten Mal Mona auf dem Handy angerufen, die mich beraten musste, während sie in der Schlange vorm Kino stand und ich zu Hause den Tränen nahe war. Schließlich entschied ich mich für das, was mir am besten stand: Jeans mit Schlag, tief ausgeschnittenes Shirt und Kapuzenjacke. So sah ich aus wie immer und fühlte mich nur mäßig unwohl. Es klingelte gerade, als ich das vierte Glas Sekt ausgetrunken hatte. Hoffentlich merkte er nichts, sonst würde er mich bestimmt für eine verkappte Alkoholikerin halten.
Und dabei trank ich ja nur, wenn ich aufgeregt war (natürlich, zum Teil sogar vor meinen Sendungen), aber alleine sonst NIE und überhaupt eigentlich nur zum Weggehen oder in Ausnahmesituationen. Und dies war eindeutig eine!
Ich drückte auf den Summer, wurde panisch und erinnerte mich an mein autogenes Training. Tiiiief in den Bauch atmen, Stresszentrum ausklopfen (überm Solarplexus– wo war der noch mal?), tiiiief ausatmen, das Gute rein, das Böse raus– es klopfte an der Tür.
Vorsichtig spähte ich durch den Spion. Himmel, sah der gut aus! Das war doch nicht der Typ aus dem Ex-Sparr ! So hübsch hatte ich den gar nicht in Erinnerung gehabt! Sein Anblick rechtfertigte meine Panik und Aufregung doppelt– jetzt hieß es allerdings, Ruhe und einen sicheren Stand bewahren, souverän bleiben– und vor allem: nicht lallen, nicht hicksen, nicht rülpsen und kein dummes Zeug erzählen.
Ich öffnete die Tür. Etwas unbeholfen nahmen wir uns im engen Flur in den Arm, ich bekam zwei Flaschen Wein in die Hand gedrückt und ein Küsschen auf die Wange, und wir gingen ins Zimmer.
» Guck mal, wie ich zittere«, sagte mein hübscher Besucher und streckte mir seine tatsächlich sehr wackelig aussehende Hand entgegen. » Ich bin ganz schön aufgeregt«, gestand er.
Ich seufzte erleichtert. » Geht mir auch so.« Jetzt konnte ich es ja zugeben. Das Eis war gebrochen, die Nähe war wieder da. » Na, dann sollten wir uns wohl ein wenig Mut antrinken, was?«, meinte ich und versuchte ein Lächeln. » Brauch ich gar nicht«, meinte er. Dann nahm er mein Gesicht in seine Hände und küsste mich zärtlich.
Ach, hatte ich das vermisst! Den Smalltalk überspringend, machten wir dort weiter, wo wir bei unserem ersten Treffen vor sechs Wochen aufgehört hatten.
Wir tranken und quatschten und knutschten und fummelten und wälzten uns die ganze Nacht, ohne miteinander zu schlafen. Es war herrlich! Ich war mir so sicher, ihn wirklich haben zu wollen, wie ich mir noch bei niemandem gewesen war. Wie machte er das nur? War es nur eine Sache der Hormone und des Fortpflanzungstriebs?
Während ich ihm gegen halb fünf beim Schlafen zusah und ihn wunderschön fand, machten sich hässliche Gedanken in mir breit. Was war, wenn er mich nur benutzte? Wenn er sich für mein mieses Verhalten rächte? Aber warum hatte er nicht mit mir geschlafen? Vielleicht wollte er mich erst an sich binden, sich mein Vertrauen erschleichen, um mich dann wieder abzustoßen!
Ich zitterte und bibberte und beschloss, mich doch schnell wieder zu entlieben. Aber konnte das mein Leben lang so weitergehen? Wann war der richtige Zeitpunkt, sich jemandem zu öffnen? Sollte ich mal etwas riskieren oder lieber meiner » Linie« treu bleiben? Bisher jedenfalls hatte ich erfolgreich alle Männer so lange belagert, bis sie von selbst Reißaus nahmen, und dann herumlamentiert, ich sei schon wieder verlassen worden.
Bei Jonas hatte meine sonstige Taktik irgendwie nicht funktioniert. Die Situation war ausweglos. Ich wusste nicht, was ich wollte, und ich wusste nicht, was Jonas wollte. Aber ich würde es herausfinden!
Wir schliefen bis mittags um zwölf, frühstückten dann ausgedehnt in einem Café in Eppendorf und beschlossen danach, an der Alster spazieren zu gehen– cool, wie ein richtiges Pärchen. Ich ertappte mich dabei, dass ich mich darüber freute. Was sollte das denn jetzt? Pärchengetue, und mir gefiel das auch noch? Ja, tatsächlich fand ich sogar einen ansonsten gähnend langweiligen Alsterspaziergang
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