Wickelkontakt - Roman
nicht, sondern er wollte einfach tatsächlich nichts von mir?
Herrje, war das eine verflixte Situation. Ich wollte ihn jedenfalls jetzt nicht noch mal anrufen. Was er konnte, konnte ich schließlich auch. Nur schade, wenn sich hinterher rausgestellt hätte, dass er mich doch mochte und auf meinen Anruf gewartete hatte. Und weil ich nicht anrief, schnappte ihn mir dann die Annika-Praktikantin weg. Haare rauf! Dabei hatte ich gar keine Zeit zum Haare raufen. Ich sah auf die Uhr: 20 . 30 . Ich musste noch weiter meine Sendung für Samstag früh vorbereiten, das hieß, Musikmoderationen schreiben, VIP-News umtexten, die Beiträge der freien Mitarbeiter abhören und die Anmoderationen ändern. Das Wetter konnte ich auch schon mal vorbereiten, dann musste ich am nächsten Morgen nur noch die Temperaturen eintragen.
Ich rieb mir die Augen. Seit morgens um vier war ich nun hier, und die verrauchte Senderluft ließ meine Augen tränen. Klar war es eine Ehre, den Samstagmorgen moderieren zu dürfen, und natürlich hatte ich heute Mittag eingewilligt, spontan einzuspringen. Aber es wäre auch nett gewesen, wenn jemand » Danke« gesagt hätte oder » super, dass du das nach deiner Frühschichtwoche, in der du sowieso schon zwanzig Überstunden gemacht hast, auch noch wuppst!« Das konnte man sich aber abschminken. Als Volo war man eh der letzte Arsch.
Ich war aber auch selber schuld, was wollte ich unbedingt Moderatorin werden? Die letzte Woche war dabei nicht besonders gut gelaufen, musste ich mir eingestehen. Ich hatte dreimal vergessen, die Internetnachrichten zu aktualisieren, hatte dem Nachrichtenredakteur eine falsche Meldung als Eilmeldung ins Studio gereicht und hatte mich einmal beim Brötchenholen mit Mona im Flur dermaßen verquatscht, dass ich verpasst hatte, eine Meldung rechtzeitig umzutexten, die der Nachrichtenredakteur dann schließlich selber total gestresst schreiben musste.
Kurz: Ich hatte gerade keinen besonders guten Lauf und sollte morgen mal wirklich eine perfekte Sendung abliefern.
Ich seufzte. Ach, Jonas fehlte mir dermaßen, mein kleines Herz zog sich immer zusammen, wenn ich an ihn dachte. Statt mein Wetter zu schreiben, starrte ich aus den grauen Fensterscheiben in den dunklen Frühlingshimmel. Morgen Nacht war wieder die Zeitumstellung von Winter- auf Sommerzeit, auch daran musste ich in meinen Moderationen denken.
» Hey, du bist noch hier?«, rief jemand vom Flur zu mir in die Redaktion herüber. Es war Tom, unser Wortchef.
Ich schrak aus meinen Tagträumen auf.
Tom war achtunddreißig, sah mit seinen dunklen Haaren, den blauen Augen und seiner Hammer-Sportlerfigur unverschämt gut aus, weshalb ich mich auch schon am ersten Praktikantentag bei Hanseradio wahnsinnig in ihn verknallt hatte– gleichzeitig hatte er aber eine total hübsche, lustige Frau, die früher gemodelt hatte, und eine zuckersüße dreijährige Tochter, von der er die ganze Zeit erzählte, so dass sich meine Chancen, bei ihm zu landen, auf niedrigem Niveau hielten. Wollte ich ja auch gar nicht, aber als Chef war er super. Tom war außerdem einer der wenigen hübschen Männer, die ich kannte, die trotz ihrer unglaublichen Attraktivität total natürlich geblieben waren. Er konnte sich nett unterhalten, gleichzeitig aber auch sexistische Sprüche kloppen. » Darf ich dir mal an die Titten fassen?«, war ja bei uns der übliche Umgangston, und wenn man damit nicht klarkam, war es eh aus. Jetzt kam er zu mir rüber. Aber wohl nicht, um mir an die Titten zu fassen.
» Gut, dass ich dich noch treffe. Sophie, ich muss mal mit dir reden.« Damit ließ er sich auf meinem Schreibtisch nieder und zündete sich eine Zigarette an.
Was wollte er denn mit mir besprechen? Seine Miene war ganz ernst. Normalerweise alberten wir viel rum und hatten überhaupt in der ganzen Redaktion viel Spaß, auch, dass die Jungs ständig im Flur Fußball spielten oder Pornos laufen ließen, störte mich eigentlich nicht. Ich fand es lustig und erfrischend, wenigstens herrschte hier kein grauer Büroalltag.
Tom war mit unserem Programmchef, Herrn Kaiser, gut befreundet, die Frauen tauschten Strickanleitungen und Rezepte aus (oder was man als Hausfrau so macht) und gingen zusammen zum Bridge, oder was auch immer. Könnte auch Golf, Aquajogging oder irgendeine andere Hausfrauensportart sein.
Nun hielt Tom mir seine Zigarettenschachtel hin. Es hatte Zeiten gegeben, da hätte ich allein diese Geste in mein Tagebuch geschrieben, hundert Seiten lang
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