Wickelkontakt - Roman
grinste frech, als er seine Zigarette ausdrückte. Ich rief mit gespielter Empörung: » Hey, also wirklich!« und knuffte ihn gegen den Arm, er knuffte leicht zurück, lachte, dann stand er auf, nahm seine Tasche, winkte mir an der Tür noch kurz zu und ging.
Eine halbe Stunde später packte ich ebenfalls meine Sachen. Die Sendung war fertig, ich hatte alle Titel vorgehört und alle Moderationen der fünf Stunden geschrieben. Ich gähnte. Jetzt wollte ich endlich nach Hause fahren, um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, denn um 6 . 40 Uhr musste ich ja wieder hier sein. Die Chance, on air zu zeigen, dass ich doch was kann, sollte und wollte ich mir wirklich nicht entgehen lassen. Wenn da nur nicht immer diese quälenden Gedanken an Jonas gewesen wären!
Bevor ich die inzwischen völlig leere Redaktion verließ, griff ich noch schnell zum Telefonhörer. Jonas hatte immer noch nicht angerufen. Worauf wartete der denn? Ich hielt es nicht mehr aus. Während ich seine Nummer tippte, hörte ich in mir ein leises Stimmchen ärgerlich flüstern:
» Lass es doch sein! Was machst du denn da? Du hast morgen Sendung, schon vergessen? Hallloooo??! Du willst doch Moderatorin werden, dann konzentrier dich doch auch endlich mal darauf!«
» Halt die Klappe«, schimpfte ich zurück, » er ist doch eh nicht da. Und hör auf, hier einen auf Gewissen zu machen; wo bist du denn immer, wenn ich dich brauche?«, fuhr ich meine innere Stimme an. Sie hielt beleidigt den Mund.
» Wer ist denn da?«, schallte es an mein Ohr.
O Gott, vor lauter Geplänkel mit meinem Gewissen hatte ich gar nicht mitgekriegt, dass Jonas ans Telefon gegangen war.
» Äääh«, sagte ich, und meine innere Stimme grinste schadenfroh. » Hallo!«, gab ich noch debil von mir und stellte fest, dass es damit eindeutig zu spät war aufzulegen. » Hier ist Sophie.«
» Ach, du bist’s!« Jonas klang etwas überrascht, aber erfreut.
Na toll, wenn er sich jetzt freute, warum hatte er denn dann nicht angerufen? » Ja, hi, ich wollte nur mal fragen, wie’s dir so geht– hab ja lange nichts von dir gehört!«
Mir stiegen die Tränen in die Augen. Ganze sechs Tage hatten wir uns nicht gesprochen, und jede einzelne Sekunde hatte ich an ihn gedacht. Ich schluckte kurz und unterdrückte den Wunsch, einfach loszuheulen. Gott sei Dank, ich hatte mich wieder unter Kontrolle.
» Mir geht’s gut«, meinte er. » Tut mir leid, dass ich mich nicht früher gemeldet hab, ich hatte total viel Stress in der Arbeit, kennst du ja sicher«, entschuldigte er sich.
Ich hatte jetzt keine Lust, darüber nachzudenken, ob das wohl stimmte oder als Ausrede herhalten musste, um nervige Kiez-Bekanntschaften zu beruhigen, und verschob das auf später.
» Vielleicht hast du Lust, bald mal was mit mir trinken zu gehen?«, hörte ich mich sagen. Meine innere Stimme bekam einen Tobsuchtsanfall. Es war lustig, ihr zuzusehen, wie sie herumsprang und ihr Fäustchen wütend schüttelte. Sie sah mir ähnlich, war aber viel spießiger angezogen.
» Ja, total gerne. Was machst du denn heute Abend noch? Ich geh gleich auf ’ne Party von ’nem Kumpel, der wird dreißig, komm doch mit, wenn du magst!«
Mein Herz fing an, wie wild zu klopfen. Das war ja toll! Er wollte mich zu einer Party mitnehmen! Seinen Freunden vorstellen! Wir würden zusammen trinken und tanzen, und vielleicht knutschen, und dann könnte er mit zu mir oder ich mit zu ihm, und alles würde irgendwie gut werden. Wir würden heiraten, und als Erstes ein Mädchen und dann einen Jungen bekommen; wir hätten ein kleines Haus im Grünen, aber doch stadtnah, und ich könnte als freie Mitarbeiterin beim Radio weiterarbeiten. Meine Figur würde ich natürlich trotz der beiden Schwangerschaften behalten, und wir hätten so viele Freunde, dass wir jedes Wochenende nicht wussten, mit wem wir ausgehen sollten.
» Hallo?«, fragte er. » Bist du noch dran?«
Himmel, ich war wirklich müde. » Ja«, sagte ich. Realistisch betrachtet hätte ich an dieser Stelle so was sagen müssen wie: » Hm, ist wirklich lieb von dir, aber ich kann heute nicht, ich hab morgen Sendung und hatte heute schon Frühschicht, sonst gerne morgen Abend, am Sonntag hab ich nämlich frei.«
Was ich aber sagte, war: » Ich kann aber nicht so lange, ich muss morgen wieder um sieben arbeiten, aber nur bis zwölf, und dann kann ich ja schlafen.«
Hui, da hatte ich aber schnell umdisponiert. Meine innere Stimme schlug sich vor den Kopf und machte wilde
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