Wickelkontakt - Roman
geschlafen hatte. Mein Dauergrinsen war ausnahmsweise nicht angeknipst, sondern ehrlich gemeint, und als ich den Hamburgern um 6 . 55 Uhr einen » Schönen guten Morgen« wünschte, war es für mich der schönste gute Morgen, den ich je in diesem gottverdammten Studio verbringen musste.
Die Nacht mit Jonas war traumhaft und wunderschön gewesen, wir würden uns nachher wiedersehen und genau dort weitermachen, wo wir heute Morgen aufgehört hatten. Ich war verliebt! Ich war glücklich! Und ich hatte jemanden gefunden, der mich auch mochte!
Den Großteil der Sendung verbrachte ich damit, Tagebuch zu schreiben, meine Erlebnisse per SMS Mona mitzuteilen, die trotz der frühen Stunde begeistert zurückschrieb, und MTV zu gucken– dafür musste ich allerdings die laufende Musik im Studio leise stellen. Aber mal ehrlich, wer wollte schon Achtziger hören, wenn auf MTV Justin Timberlake lief?
Als kurz nach elf das Studiotelefon klingelte, ging ich gut gelaunt ran– hatte ich doch für diverse Stunden den Bezug zur Realität verloren.
» Was ist denn los?«, holte mich eine bärbeißige Stimme zurück auf den Boden der Tatsachen.
Ich war total verdattert, suchte die Fernbedienung, drückte den Ton des Fernsehers aus, nahm dabei nur nebenbei wahr, dass die Sendermusik auch aus war, und fragte: » Häh?«
» Du fährst ein Loch!«, schnauzte es weiter, und ich erkannte unseren Technikchef. Den heiligen Harald, den Herrscher über Pulte, Computer und Sendesystem.
» Oh!«, entfuhr es mir.
Ich warf den Hörer zur Seite, checkte das System, das aus irgendwelchen Gründen stehen geblieben war, gab alles ein, was nötig war, drückte » Start« und siehe da, Madonna quäkte los, alles war wieder gut. Meinte ich zumindest.
Ich griff nach dem Hörer. » Alles wieder okay, Harald!«
» Was heißt’n hier okay?«, blaffte der. » Du hast ’n Dreißig-Sekunden-Loch gefahren!«
Huch, da konnte ich ja froh sein, dass es nicht noch länger gewesen war! Bei der Lautstärke von Mr. Timberlake hätte ich wohl ewig nichts mitgekriegt.
» Was hast du denn gemacht?«, wollte Schnauzbert wissen.
» Hab MTV geguckt und den Ton hier abgedreht«, rutschte es mir raus. Nein! Mein innerer Homer Simpson hieb sich vor den Kopf.
Warum konnte ich nicht wenigstens eine kleine Frauen-Menstruations-Beschwerden-Geschichte erfinden oder sagen, dass ich mir gerade in der Küche einen Kaffee geholt, aber natürlich gehört hatte, dass das System aus war, et cetera… Es hätte so viele Möglichkeiten gegeben– aber ich Trottel musste mich ja für die Wahrheit entscheiden.
» Na ja, das musst du ja wissen«, brummelte Harald und legte auf.
Mir wurde heiß und kalt. Verdammt. Verdammt, verdammt. Na, da konnte ich mich ja auf was gefasst machen… Aber erst mal wollte ich mein Wochenende genießen– vielmehr: unser Wochenende genießen.
Als ich mittags nach Hause kam, hatte Jonas den Frühstückstisch gedeckt, gelüftet und das Bett gemacht. » Hallo, mein Herz«, sagte er und gab mir den schönsten, längsten, erotischsten Begrüßungskuss meines Lebens.
Den Anschiss vom Chef gab es prompt am Montag.
» Frau Sonnenberg, was FÄLLT Ihnen eigentlich ein?«, donnerte mir Thor persönlich die Ohren voll.
Herr Kaiser hatte eine stattliche Figur und erinnerte mich immer irgendwie an Triton, den Meeresgott aus Arielle, die Meerjungfrau; allerdings hatte er einen Anzug an und keinen Dreizack in der Hand. Dadurch wirkte er aber nicht weniger autoritär. Und ein ähnliches Organ wie der Meeresgott hatte er auch. Wenn der einen zusammenfaltete, war man aber GANZ klein. Ich rutschte immer weiter in den tiefen schwarzen Ledersessel.
» Wissen Sie nicht, dass Sie hier eine VERANTWORTUNG tragen? Dass wir HÖRER haben, die ihnen ZUHÖREN wollen, die unsere MUSIK HÖREN wollen! Wenn Sie lieber MTV gucken, dann müssen sie sich DA bewerben! Ich kann Ihnen das kaum noch durchgehen lassen. Das SYSTEM ausfallen zu lassen und es nicht mal zu MERKEN!« Er warf beide Arme nach oben, dann seufzte er tief und beruhigte sich etwas.
Ich fing vorsichtshalber an zu weinen.
» Und SPAREN Sie sich Ihre Tränen, das BRINGT bei mir nichts!«, brüllte er.
Ich konnte drauf wetten, dass die ganze Redaktion mitbekam, was hier los war. Ich schluckte mühsam, mein Hals war trocken, und ich konnte nun wirklich nicht mehr aufhören zu weinen. In beiden Wochenendnächten hatte ich kaum mehr geschlafen als in der Woche zuvor. Auch wenn der Grund für die durchwachten Nächte
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