Wider die Unendlichkeit
grellgelben Gummistoff geflickt worden. Rundherum lagen zerborstene Kisten und vom Wind blankgescheuerte alte Geräte. Der Fusionsgenerator stand auf Minimalleistung, arbeitete mit leisem Pock-pock-pock und versorgte die Seismos und die übrigen, seltsam geformten Apparate, die ins Eis getrieben worden waren, mit Energie.
Er und Petrowitsch stiegen aus und gingen zu dem Hügel, der das leere, vernachlässigte Lager überragte. Manuel fand die Stelle nicht, indem er vom Hügel hinabschritt, sondern durch Gefühl, als er sich erinnerte, wie die großen Felsblöcke eine Kette bildeten, die nach unten in das schmale, flache Gebiet gerichtet war.
»Sie haben sich in Sidon darüber gewundert?« fragte Petrowitsch.
»Gut«, entfuhr es Manuel mit plötzlich aufkommendem Zorn, der ihn selbst erstaunte.
Das Eis hier war von altem Schnee überkrustet. Manuel kratzte es mit den Händen frei und ließ die Wärme seines Anzugs die Trübung der obersten Eisschicht vertreiben.
Weit unten, von Bläschen umgeben, war eine dunkle Gestalt. Er konnte Arme und Beine kaum erkennen. Sie lag immer noch auf dem Rücken.
»Das Eis hat sich kein Stück bewegt«, murmelte er.
»Wird es aber. Ich habe den Rutschmesser da drüben geprüft. Es fließt, hundert Meter unter uns.«
»Aha.« Er spähte in das Eis und versuchte, das Gesicht zu erkennen.
»Könnten ihn immer noch für eine Beerdigung mitnehmen«, sagte Petrowitsch ruhig.
»Nein. Sidon ist nicht so arm, daß es nicht ohne eine weitere Leiche für den Dünger auskäme.«
»Du weißt, deshalb meine ich es nicht.«
»Sicher weiß ich das. Sie wollten eine kleine Zeremonie wie die vor ein paar Tagen. Gemeinschaft ist auf Zeremonien aufgebaut.« Abrupt stand er auf.
»Sie haben ihren Sinn.«
»Dieser hier ist einer, der ihr Ritual nicht brauchte. Er wollte hier draußen bleiben.«
Petrowitsch nickte stumm. Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zum Lager zurück. Einen Moment später folgte ihm Manuel. Die Hütte schien jetzt kleiner, und die Stützen waren ins Eis eingesunken, als schlüge dieser Ort – von den Menschen vernachlässigt, als sie sich um andere vergängliche Dinge kümmerten – seine natürliche Bahn wieder ein, eingehend in die Unsicherheit der Wildnis, absorbiert in den tiefen Bewegungen des Eises.
Als er den Hang hinabstapfte, verlor sich das Knirschen seiner Stiefel auf altem Schnee in der alles umhüllenden Stille des Ortes. Er konnte die Augen zu Schlitzen zusammenpressen und seinen Vater wieder vor der Schleuse stehen sehen, zornig und doch seinem Sohn gestattend, die Leiche die Anhöhe hinaufzutragen und behutsam abzulegen und in der nächsten Stunde ein Grab im Eis auszuheben, wobei rund um die gebeugte, gleichmäßig grabende Gestalt Myriaden glitzernder Kristalle aufstoben. Für diese eine Stunde hatte der Colonel seinen Zorn begraben, weil sein Sohn ihm eine Lüge vorgesetzt hatte, die einzige Lüge, die es je zwischen ihnen gegeben hatte, eine Lüge, die bis zu ihrer Rückkehr nach Sidon standhielt: daß Old Matt den Wunsch geäußert hatte, dort draußen begraben zu werden, unter dem ständigen Wechsel von Dunkelheit und Dämmerung, nicht gefangen in Eis sondern frei im Eis. Strenggenommen war es eine Lüge, im Grunde jedoch nicht: Manuel wußte, was der alte Mann gewollt hatte, und die Tatsache, daß er nicht die Zeit gefunden hatte, es auszusprechen, spielte keine Rolle. Aber die eigentlich unbedeutende Täuschung hatte an dem Sohn genagt, und innerhalb einer Woche hatte er es dem Vater gebeichtet, und das schließlich gab im Kopf seines Vaters den letzten Anstoß und machte es beiden unmöglich, wie bisher weiterzuleben. Die plötzlich auflodernden heftigen Streite zwischen ihnen waren schlimmer geworden, die kalte, flache Stelle im Hang eines Hügels hatte einen Keil zwischen sie getrieben. Kein Sohn von mir tut so etwas. Und schließlich war es nicht der Tod, sondern – wie es zwischen Menschen, die sich geliebt haben, geschehen kann – der eher nichtige Anlaß des Begräbnisses, der dazu führte, daß sie einander nicht wiedersahen.
Steifbeinig kam Manuel in das Feld, die Augen wäßrig und ziellos, und die erste Erschütterung holte ihn von den Füßen. In dem einen Moment war er mitten im Schritt, im nächsten lag er auf dem Rücken und spürte, zu Tode erschrocken, den Boden erbeben. Er kam auf die Knie, der zweite Stoß folgte. Diesmal sah er ihn als dunkle Linie vom Horizont kommen, die die Schneedecke faltete, so daß die Facetten
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