Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
erwähnt.« Sie kannte dieses historische Konzept aus vielen archäologischen Zeitschriften. Nach der Theorie betraf die bekannte Geschichte nur das sogenannte Zweite Zeitalter der Menschheit. Viele Jahrtausende vorher sollte eine erste hochentwickelte Kultur existiert haben, in Europa und Asien – manche Forscher schlossen auch die legendären Inselkontinente Atlantis und Mu ein. Es hieß, jene Zivilisation sei einer Katastrophe von globalem Ausmaß zum Opfer gefallen. »Solche Vorstellungen gelten als Hirngespinste«, entgegnete Magda unsicher. »Alle Historiker und Archäologen lehnen sie ab.«
»Ja, ich weiß«, sagte Glaeken und lächelte dünn. »Sie gehören zu den angeblichen ›Experten‹, die Trojas Existenz leugneten, bis Schliemann die Stadt fand. Nun, sollen sie glauben, was sie wollen. Ich weiß , daß das Erste Zeitalter mehr ist als ein Hirngespinst. Ich wurde in jener Ära geboren.«
»Aber wie …«
»Bitte unterbrich mich nicht, Magda. Es bleibt mir nur noch wenig Zeit, und ich möchte, daß du einige Dinge verstehst, bevor ich Rasalom zum letzten, entscheidenden Kampf herausfordere. Das Erste Zeitalter … unterschied sich von der heutigen Epoche. Damals fanden Auseinandersetzungen zwischen zwei …« Glaeken suchte nach den richtigen Worten. »Ich verzichte auf die Bezeichnung ›Götter‹, denn so etwas verbindest zu vielleicht mit konkreten Identitäten und Persönlichkeiten, und das wäre unangemessen. Es gab zwei große, nicht greifbare … Kräfte … Mächte. Die Dunkle Macht wurde Chaos genannt und repräsentierte all das, was die Menschheit als bedrohlich empfindet. Die andere …«
Er zögerte erneut, und Magda warf ein: »Meinst du die Weiße Macht? Die Macht des Guten?«
»Ganz so einfach ist das nicht. Wenn wir von ihr sprachen, benutzten wir den Ausdruck ›Licht‹. Nun, es spielt keine Rolle. Wichtig ist nur eins: Sie bildete den Gegensatz zum Chaos. Während des Ersten Zeitalters teilte sich die Zivilisation in zwei verschiedene Lager: Auf der einen Seite standen die Gegner des Chaos, auf der anderen diejenigen, die sich mit Hilfe der Dunkelheit Macht erhofften. Rasalom war damals ein Nekromant, ein Adept der Dunklen Macht. Er gab sich ihr völlig hin und wurde schließlich zum Meister des Chaos.«
»Und du bist der Meister des Lichts, des Guten.« Magda wünschte sich eine Bestätigung.
Aber Glaeken erwiderte: »Nein. Ich traf damals keine Wahl in dem Sinne. Und ich kann auch nicht behaupten, daß die Macht, der ich diene, nur gut ist, daß es in ihrem Licht keinen Platz für Schatten gibt. Gewisse Umstände, die inzwischen jede Bedeutung für mich verloren haben, machten mich zu einem Verbündeten des Lichts. Schon nach kurzer Zeit stellte ich fest, daß ich mich nicht mehr von den damit einhergehenden Verpflichtungen befreien konnte. Es dauerte nicht lange, bis ich mich an der vordersten Front des Kampfes wiederfand – an der Spitze der Weißen Armeen. Schließlich erhielt ich das Schwert. Klinge und Heft wurden von dem Kleinen Volk geschmiedet, das längst ausgestorben ist. Die Waffe diente nur einem einzigen Zweck: Sie soll Rasalom vernichten. Irgendwann kam es zur letzten Schlacht zwischen den gegensätzlichen Kräften. Harmageddon, Ragnarök – eine wahre Apokalypse. Die sich daraus ergebenden Katastrophen – Erdbeben, Stürme, Feuersbrünste, Überflutungen – führten zum Untergang der Ersten Zivilisation. Nur wenige Menschen überlebten.«
»Und was wurde aus den Mächten?«
Glaeken zuckte mit den Schultern. »Es gibt sie noch immer, aber nach den Katastrophen scheinen sie das Interesse am Kampf verloren zu haben. Kein Wunder: Von der damaligen Kultur sind nicht einmal Ruinen übriggeblieben, und die Reste der Menschheit fielen in die Barbarei zurück. Chaos und Licht wandten ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zu, während Rasalom und ich den Kampf fortsetzen. Epochen verstrichen, ohne daß sich jemand von uns durchsetzen konnte. Wir waren die letzten Streiter, ohne daß uns der Tod von unserem Schicksal erlöste. Jahrtausende vergingen und raubten uns etwas …« Glaeken starrte auf einen Spiegelsplitter, der aus dem flachen Kasten gefallen war und neben seinen Knien lag. »Halt ihn mir vors Gesicht«, bat er Magda.
Sie hob die Scherbe.
»Nun, wie sehe ich darin aus?« fragte der Rothaarige.
Magda blickte in den kleinen Splitter – und riß die Augen auf.
Glaeken hatte kein Spiegelbild – ebensowenig wie Rasalom.
»Die Mächte, denen wir dienen
Weitere Kostenlose Bücher