Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Bräuchen in Verbindung gebracht werden kann.«
»Wir bringen Sie sofort in den Keller.« Der Sturmbannführer rief zwei seiner schwarzgekleideten Männer als Eskorte herbei.
Magda zögerte. Es behagte ihr ganz und gar nicht, mit verstümmelten Toten konfrontiert zu werden, aber andererseits fürchtete sie sich auch davor, allein zu bleiben, während sie auf die Rückkehr der Männer wartete. Nach einigen Sekunden rang sie sich zu einer Entscheidung durch und schob den Rollstuhl bis zur Kellertreppe. Dort wurde sie grob beiseite gestoßen, als die beiden SS-Soldaten dem Befehl ihres Vorgesetzten gehorchten und den Rollstuhl mit Theodor Cuza hinabtrugen.
Eisige Kälte erwartete Magda, als sie die letzte Stufe hinter sich brachte.
»Was hat es mit den Kreuzen auf sich, Professor?« fragte Wörmann, als sie durch den Korridor gingen. »Was bedeuten sie?«
»Ich weiß es nicht. In dieser Region gibt es keine Sagen, in denen solche Zeichen erwähnt werden – abgesehen von einigen Gerüchten, nach denen ein Papst den Bau der Feste veranlaßt haben soll. Aber das fünfzehnte Jahrhundert war eine sehr unruhige Zeit für die katholische Kirche, und damals wurden die Südkarpaten ständig von den Osmanen bedroht. Daher halte ich die Papsttheorie für falsch.«
»Und die Türken? Könnten sie die Festung erbaut haben?«
Vater Cuzo schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Wir haben es hier mit einer völlig anderen Art von Architektur zu tun, und Kreuze gehören sicher nicht zu den türkischen Motiven.«
»Was ist mit ihrer Form ?«
Der Wehrmacht-Major schien großes Interesse an der Feste zu haben, und deshalb kam Magda ihrem Vater zuvor. Sie hatte sich jahrelang mit dem Geheimnis der Kreuze befaßt.
»Eine höchst seltsame Angelegenheit. Wir haben in zahllosen Werken über christliche, römische und slawische Geschichte nachgesehen, ohne dabei irgendeinen Hinweis zu finden. Mit anderen Worten: Die Kreuze sind ebenso einzigartig wie das Gebäude.«
Sie hätte ihren Vortrag gern fortgesetzt – um nicht daran zu denken, was sie in der Höhle unter dem Keller erwartete –, aber Wörmann schien ihr kaum Beachtung zu schenken. Vielleicht lag es daran, daß sie nun die große Öffnung in der Mauer erreichten, aber Magda vermutete, daß es einen anderen Grund für das Verhalten des Majors gab: Er sah »nur« eine Frau in ihr und nahm sie deshalb nicht ganz ernst. Sie seufzte innerlich und schwieg. Bei rumänischen Männern war sie schon oft auf eine derartige Haltung gestoßen, und sie fragte sich nun, ob sich in diesem Zusammenhang alle Vertreter des männlichen Geschlechts ähnelten.
»Noch eine letzte Frage«, sagte Wörmann und wandte sich an den Professor. »Warum gibt es im Bereich des Ka stells keine Vögel?«
Der alte Mann runzelte verwirrt die Stirn. »Um ganz ehrlich zu sein: Ihre Abwesenheit ist mir noch nie aufgefallen.«
Magda teilte die Überraschung ihres Vaters. Sie wurde sich erst jetzt bewußt, daß sie bei ihren früheren Aufenthalten im Dinu-Paß nie einen Vogel in der Nähe der Feste gesehen oder gehört hatte.
Die geborstenen Steine vor der eingestürzten Wand waren von den deutschen Soldaten beiseite geräumt und aufgestapelt worden. Magda steuerte den Rollstuhl ihres Vaters daran vorbei und spürte einen eisigen Hauch, der ihr aus dem breiten Riß entgegenwehte. Sie griff in die Tasche hinter der hohen Rückenlehne und holte die ledernen Handschuhe des alten Mannes hervor.
»Du solltest sie besser anziehen«, sagte sie.
»Er trägt bereits Handschuhe!« grollte Kämpffer, verärgert über die neuerliche Verzögerung.
»Seine Finger reagieren auf Kälte sehr empfindlich«, erklärte Magda und half ihrem Vater dabei, die Handschuhe überzustreifen. »Ein Symptom seiner Krankheit.«
»Und worin besteht sein Leiden?« fragte Wörmann.
»Man bezeichnet es als Sklerodermie.« Die Mienen der beiden Deutschen zeigten deutlich, daß sie nicht wußten, was sie sich darunter vorstellen sollten.
Der Professor hob den Kopf. »Ich hörte diesen Namen zum erstenmal, als die Ärzte eine solche Diagnose stellten. Nun, ich möchte vermeiden, Sie mit Einzelheiten zu langweilen. Nur soviel: Die Krankheit betrifft nicht nur die Hände.«
»Wie wirkt sie sich aus?« erkundigte sich der Major.
»Ein plötzliches Absinken der Temperatur führt zu einer drastischen Veränderung des Blutkreislaufs in den Fingern. Die Adern ziehen sich zusammen, und wenn ich nicht sehr aufpasse, beginnt das Fleisch zu verfaulen. So
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