Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Fenstern, die wie kleine, rechtec kige Augen wirkten.
Magda fragte sich, ob Glenn jetzt unten am Tisch saß. Dachte er an sie? Wartete er vielleicht darauf, daß sie herunterkam? Es spielte keine Rolle. Sie mußte unter allen Umständen eine Begegnung mit ihm vermeiden. Ein Blick in ihre Augen – und er wußte sofort, was sie plante. Dann versuchte er möglicherweise, sie aufzuhalten.
Die junge Frau konzentrierte sich auf das Kastell, doch ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Glenn zurück. Während ihres kurzen Schlafs hatte sie sogar von ihm geträumt. Sie erinnerte sich nicht an Einzelheiten, aber der Gesamteindruck hinterließ Wärme und diffuses erotisches Verlangen. Was geschah nur mit ihr?
Glenns Nähe weckte … Verlangen.
Himmel, das ist doch absurd! Ich verhalte mich wie ein pubertäres Mädchen, das zum erstenmal einem netten jungen Mann begegnet. Nein, sie durfte es sich nicht erlauben, eine Beziehung zu ihm – oder zu irgendeinem anderen Mann – einzugehen. Ihr kranker Vater brauchte sie. Ihr Va ter, der sich bei den Deutschen in der Feste befand und auf eine neuerliche Begegnung mit dem Schattenwesen Mo lasar wartete.
Glenn …
In seiner Gegenwart fühlte sie sich wichtig, als könne sie stolz auf sich sein. Wenn sie mit ihm sprach, kam sie sich nicht wie eine Außenseiterin vor.
Es war schon nach zehn, als Magda die Herberge verließ. Von ihrem Fenster aus beobachtete sie, wie Glenn über den Pfad schlich und sich hinter den Busch am Schluchtrand duckte. Sie wartete eine Weile, verbarg ihr Haar unter dem Kopftuch, nahm die Taschenlampe und machte sich auf den Weg.
Sie ging nicht etwa auf die Brücke zu, sondern steuerte statt dessen die steile, weit aufragende Felswand an. Magda wußte, daß sie die Taschenlampe erst benutzen durfte, wenn sie sich im Kastell befand: Das Licht hätte die Aufmerksamkeit der Wächter geweckt. Sie hob den Pullover, schob die Lampe unter den Rockbund und spürte kühles Metall auf ihrer Haut.
Behutsam tastete sie sich durch die Finsternis, und nach einigen Minuten erreichte sie den Rand der Schlucht. Ein Erdrutsch reichte bis zum Fluß herab und bildete eine Böschung, die ihr das Hinunterklettern erleichterte. Magda bewegte sich mit der erforderlichen Vorsicht und achtete darauf, nicht auf dem lockeren Untergrund auszurutschen. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sie zum Schluchtrand gelangte und leise durch eiskaltes Wasser watete. Nach einigen Dutzend Metern sah sie die Konturen des granitenen Soc kels, der dem Kastell als natürliches Fundament diente. Sie fand nach kurzer Zeit den Zugang des geheimen Tunnels – einen großen Steinblock, der massiv wirkte, in Wirklichkeit jedoch nicht besonders dick und an Angeln aufgehängt war. Mit einem kaum hörbaren Knirschen schwang er nach innen, als sie dagegen drückte. Dahinter erwartete sie ein stockfinsterer Raum.
Magda griff nach der Taschenlampe und trat ein.
Sofort spürte sie die Atmosphäre des Unheils, ein vages Grauen, bei dem sich ihre Nackenhaare aufrichteten. Sie wollte umkehren, das Kastell verlassen und durch den dich ten Nebel fliehen, der inzwischen die Schlucht verhüllt hat te. Der Hauch des Verderbens erschien ihr weitaus intensiver als noch am Morgen, als sie nach der Brücke die Torschwel le überschritten hatte. Die junge Frau fragte sich, ob sie jetzt empfindlicher darauf reagierte oder ob das Böse stärker geworden war.
Langsam und ohne Ziel wanderte er durch die Schwärze in den entlegenen Gewölben der Feste, ein Teil der Finsternis. Seine Gestalt erinnerte an die eines Menschen, doch in seinem Wesen gab es längst nichts Menschliches mehr.
Abrupt blieb er stehen und spürte die Präsenz einer weiteren lebendigen Person. Jemand betrat das Kastell. Er konzentrierte sich und erkannte die Person: die Tochter des Krüppels, jene Frau, die er vor zwei Nächten berührt und deren innere Kraft ihn mit einer kaum zu bezähmenden Gier erfüllt hatte.
Er setzte sich wieder in Bewegung, doch jetzt wirkten seine Schritte nicht mehr träge und ziellos.
Magda stand in der muffigen Dunkelheit und zögerte. Staub umwogte sie, drang ihr in Mund und Nase und nahm ihr fast den Atem. Plötzlich kam sie sich wie eine Närrin vor. Warum war sie so versessen darauf, zu ihrem Vater zu gehen? Gab es irgendeine Möglichkeit für sie, ihm während seiner Begegnung mit dem Untoten zu helfen? Was versprach sie sich davon, in dieser Nacht in die Feste zu gehen? Wer sich zu unüberlegten Dummheiten
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