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Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Titel: Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Gabe
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Steinen und Erde ausgelegt und wartete auf den Baum. Es fehlte nur noch Ba.
    Normalerweise würde sie einen Baum selbst austopfen und umpflanzen, indem sie ihn auf die Seite legte, die längeren, dickeren Wurzeln stutzte und ihn dann mit frischer Erde wieder in seinen Topf setzte. Aber der Ishi-Zuki war etwas Besonderes. Sie hatte ihn zu viele Jahre gepflegt, beobachtet und gewartet, während er mit seinen Wurzeln den Stein überwucherte und umschloss, auf dem er saß. Sie könnte das gefährden, wenn sie versuchte, ihn jetzt allein umzupflanzen. Wenn sich der Stein von den Wurzeln lösen würde, würde sie sich das nie verzeihen.
    »Gladys?«, rief sie. »Haben Sie Ba gesehen?«
    »Heute Morgen noch nicht, Ma’am«, antwortete das Mädchen aus der Küche.
    »Komm mit, Mess«, sagte sie zu der Katze, die zusammengerollt in der Sonne neben der Tür lag. »Lass uns Ba suchen.«
    Die Katze hob ihren Kopf und sah sie einen Moment mit zusammengekniffenen Augen an, ließ dann den Kopf wieder sinken und döste weiter. Sie war fett und faul geworden seit dem Tag, als Sylvia sie als Kätzchen gefunden und mit nach Hause genommen hatte. Jemand hatte sie und ihre vier Geschwister in eine Mülltüte gepackt und sie mitten auf der Straße vor Toad Hall aus dem Auto geworfen. Mess war die einzige Überlebende, nachdem mehrere Autos die Tüte überfahren hatten. Sie war wirklich übel zugerichtet gewesen, als Sylvia sie befreit hatte – durchgeschüttelt, verängstigt und mit dem Blut ihrer Geschwister bespritzt. Noch heute wagte sie sich nicht mehr in die Nähe der Straße.
    Sylvia nahm ihre Tasse Kaffee und ging zur Rückseite des Hauses. Die Forsythien standen in voller Blüte und sprenkelten den erwachenden Garten hier und da mit gelben Punkten. Hinter dem Zierrasen kam ein schmaler Sandstreifen und dahinter plätscherte das Wasser des Long Island Sounds gegen die Kaimauer. Weit drüben auf der anderen Seite war die Südküste Connecticuts. Eine schwache Brise trieb den Geruch von Tang in den Garten und raschelte in den Weiden, die das Anwesen umgaben. Dieser Klang – der Wind in den Weiden – und der Anblick dieses alten dreistöckigen Hauses, das aussah, als sei es direkt von einer Südstaatenplantage hierherversetzt worden, hatte ihr gar keine Wahl gelassen: Sie musste das Anwesen kaufen und benannte es dann in Toad Hall um.
    Als sie sich Jeffys eingezäuntem Spielplatz näherte, sah sie zwei Wildenten vor ihm stehen, die leise quakten. Früher hatte er die Enten gefüttert und wie ein kleiner Verrückter gelacht, wenn sie den knochenharten Brotstücken nachjagten, die er ihnen zuwarf. Die beiden dachten wohl, dass er noch der gleiche alte Jeffy sei, aber er war es nicht mehr. Er ignorierte sie.
    Die Enten flogen davon, als sie näher kam. Sie glaubte zu sehen, dass Jeffys Lippen sich bewegten, und eilte zu ihm. Aber sie hörte nichts. Er hockte noch immer im Gras und schaukelte unaufhörlich vor- und rückwärts, völlig versunken in das helle Gelb der Löwenzahnblüte, die er im Gras gefunden hatte.
    »Wie geht es dir, Jeffy?«
    Das Kind starrte weiter auf die Blume, als ob es in ihr die Geheimnisse des Universums gefunden hätte.
    Sylvia holte eine Schachtel Dragees aus der Tasche ihres Arbeitskittels und hockte sich zu ihm. Sie hatte herausgefunden, dass diese, Sorte für ihre Zwecke am geeignetsten war, weil sie sofort ihr Aroma freisetzte und nicht sättigte. Sie klemmte eines der winzigen Bonbons zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt es bereit.
    »Jeffy!«, sagte sie und sprach seinen Namen laut und deutlich aus.
    Sein Kopf drehte sich ein wenig in ihre Richtung. Bei dem ersten Anzeichen von Bewegung schnellte ihre Hand mit einer Genauigkeit hervor, die aus jahrelanger Erfahrung herrührte, und presste das Bonbon zwischen seine Lippen. Als er in das Dragee hineinbiss, rief sie wieder seinen Namen in der Hoffnung, noch einmal eine Reaktion zu provozieren.
    »Jeffy! Jeffy!«
    Aber er wandte sich wieder dem Löwenzahn zu. Sechs weitere Versuche waren erfolglos.
    »Vielleicht magst du die Bonbons nicht mehr?«, fragte sie. Aber sie wusste, daran lag es nicht. Jeffy entglitt ihr. Nachdem ihm verhaltenstherapeutische Maßnahmen jahrelang geholfen hatten, reagierte er jetzt seit Anfang des Jahres nicht mehr darauf. Noch schlimmer war, dass seine Entwicklung regressiv verlief und er immer tiefer in seinen Autismus glitt. Sie wusste nicht, was falsch lief. Sie bot ihm eine strukturierte Umgebung und arbeitete weiterhin

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