Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
winkte ihm aber beim Vorbeigehen freundlich zu.
»Wer ist das da in der Ecke?«, fragte er Schwester McClain. »Jemand, den ich kenne?«
»Um Ihretwillen hoffe ich es nicht«, sagte sie. »Er ist betrunken wie ein Stinktier und riecht auch nicht besser. Ich weiß nicht einmal seinen Namen.«
»Was ist mit ihm?«
»Sagt, er wäre gekommen, um zu sterben.«
»Das ist ermutigend.«
McClain schnaubte verächtlich. »Das soll er mal während meiner Schicht wagen. Auf jeden Fall sind die Laboruntersuchungen in Arbeit und wir haben die Brust geröntgt. Ein EKG wird gleich gemacht.«
»Wer hat Dienst?«
»Ihr alter Kumpel Alberts.«
McClain war eine der wenigen Krankenschwestern hier, die sich noch daran erinnerten, dass Alan und Lou Alberts einmal eine gemeinsame Praxis gehabt hatten – wie viele Jahre war das her? Konnten es schon sieben Jahre sein?
»Ich bin sicher, sie werden gut miteinander klarkommen«, sagte er mit einem bösartigen Grinsen.
McClain lachte bellend. »Ganz bestimmt.«
Als er zurückging, um sich von Joe zu verabschieden, rief der Mann auf der Liege ihm wieder zu.
»Hey, Sie! Kommen Sie! Es ist Zeit!«
Alan winkte, ging aber weiter. Der Mann hatte keine Schmerzen, er war nur betrunken.
»Hey! Es ist Zeit! Kommen Sie! Bitte !«
Im letzten Wort hatte solch eine Verzweiflung gelegen, dass Alan innehielt. Der Mann winkte ihn zu sich.
»Kommen Sie.«
Alan ging zur Liege hinüber und trat dann einen Schritt zurück. Es war der gleiche Penner, der Dienstagabend auf seinen Wagen geschlagen hatte. Und McClain hatte nicht gespaßt. Er war schmutzig und stank furchtbar. Doch selbst der Mief seiner dreckigen Kleidung und seiner bloßen Füße konnte nicht die Fahne billigen Fusels überdecken, die aus seinem zahnlosen Mund kam.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Alan.
»Nehmen Sie meine Hand.« Er streckte eine dreckige Hand mit schuppiger Haut und schwarzen eingerissenen Fingernägeln aus.
»Mann, ich weiß nicht«, sagte Alan und versuchte dabei, unbeschwert zu sprechen. »Wir haben uns noch nicht einmal vorgestellt.«
»Bitte nehmen Sie sie.«
Alan holte tief Luft. Warum war er nicht einfach weitergegangen wie jeder andere auch? Er zuckte die Schultern und streckte seine rechte Hand aus. Der arme Kerl sah aus, als ob er im Sterben läge, und es schien ihm wichtig zu sein. Und er hatte seine Hände schon an unappetitlicheren Orten gehabt.
Sobald sich seine Finger denen des Landstreichers näherten, schoss die schmutzige Hand vor und packte ihn mit einem eisernen Griff. Er fühlte einen Schmerz, aber es war mehr als nur der Druck. Licht loderte auf, als eine Empfindung wie ein elektrischer Schlag durch seinen Arm jagte und seine Muskeln unkontrolliert krampfen ließ. Er zappelte wie ein Fisch an der Angel. Dunkle Punkte flackerten vor seinen Augen, verschmolzen ineinander und löschten alles aus, den Landstreicher, die Notaufnahme, alles … .
Dann löste sich der Griff, und Alan taumelte zurück, aus dem Gleichgewicht geworfen. Seine Hände griffen nach etwas, etwas, das ihn vom Fallen abhalten würde. Er fühlte Stoff in seiner linken Hand, hielt sich fest, und als er hörte, dass die Halterungen an der Decke unter seinem Gewicht ausrissen, war ihm klar, dass es der Vorhang war. Aber zumindest verlangsamte er damit seinen Fall und dämpfte den Schlag auf den Hinterkopf, als er auf dem neben ihm stehenden Behandlungstisch aufschlug.
Ihm wurde schwarz vor Augen, und als er wieder sehen konnte, bemerkte er den schockierten Gesichtsausdruck von Schwester McClain, die sich über ihn gebeugt hatte.
»Was ist passiert? Geht es Ihnen gut?«
Alan rieb seine rechte Hand mit der linken. Die Empfindung des elektrischen Schocks war vorbei, aber sein Fleisch prickelte immer noch bis zum Knochen. »Ich glaube ja. Was zum Teufel hat er mit mir gemacht?«
McClain sah zur Liege hinüber. »Der da?« Sie richtete sich auf und sah den Landstreicher genauer an. »Oh, Scheiße!« Sie stürzte zum Schreibtisch und kam, die mobile Wiederbelebungseinheit schiebend, zurück.
Aus den Lautsprechern ertönte die Stimme der Telefonistin: »Dringender Notfall in der Notaufnahme! Dringender Notfall in der Notaufnahme!« Krankenschwestern und Krankenpfleger erschienen aus allen Richtungen. Dr. Lo, der diensthabende Notarzt, kam aus dem Ärztezimmer gerannt, übernahm die Wiederbelebungsversuche und warf Alan im Vorbeilaufen einen verwirrten Blick zu.
Alan versuchte aufzustehen, um zu helfen, aber seine Knie
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