Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
Maschine, verband ihren Arm und trug sie in ihr Schlafzimmer, wo er ihr den Schlafanzug anzog und sie unter das Laken legte.
Als er einen Moment bei ihr saß, ihr Haar streichelte und in ihr unschuldiges Gesicht sah, bewegte sie sich und hob ihren Kopf.
»Ich habe vergessen zu beten.«
»Das ist schon in Ordnung, Liebes«, sagte er besänftigend, und sie schlief unverzüglich wieder ein.
Es hört sowieso niemand zu.
Es wunderte ihn immer wieder, wie Leute an einen fürsorglichen Gott glauben konnten, wo es doch so viele Kinder auf dieser Welt gab, die von Geburt an litten.
Für ihn gab es keinen Gott. Es gab nur Julie und diese Welt und das Heute – und hoffentlich ein Morgen.
Er küsste sie auf die Stirn und machte das Licht aus.
14. Alan
Der Patient log.
Ein neuer Patient. Aus seiner Karte ging hervor, dass er Joe Metzger hieß, zweiunddreißig Jahre alt war und über chronische Schmerzen im unteren Rückenbereich klagte. Er sagte, er wolle Heilung für seine Rückenschmerzen.
Das Wort ›Heilung‹ machte ihn hellhörig. Alan hatte ihn als Drogenabhängigen eingeordnet, der Dilaudan oder Dicodid brauchte. Das kam immer mal wieder vor – immer ein Leiden mit chronischen Schmerzen, immer die ›Allergie‹ auf nichtsteroidale Antirheumatika und andere nicht verschreibungspflichtige Schmerzmittel, immer irgendeine Geschichte, das ›mir hilft nur eine Art von Pille – ich weiß nicht, wie sie heißt, aber sie ist gelb und es ist irgendwas mit Di…‹
Sicher! Ganz bestimmt!
Vielleicht wäre Alan nicht so misstrauisch gewesen, wenn er nicht zufällig aus dem Fenster geschaut hätte, als dieser Joe Metzger mit seinen furchtbaren Rückenschmerzen behende aus seinem kleinen Zweisitzer gesprungen war.
»Was meinen Sie mit ›Heilung‹?« Metzger hatte ihm eine lange Geschichte über seine bisherigen Untersuchungen – Myelegramm, CT, MRT und alles Mögliche sonst noch – und Konsultationen bei vielen Fachärzten erzählt. »Was erwarten Sie von mir, das Sie nicht schon woanders bekommen hätten?«
Joe Metzger lächelte. Es war ein mechanischer Gesichtsausdruck, so, wie Alan es auf den Gesichtern von computeranimierten Figuren gesehen hatte. Sein magerer Körper war bis zur Hüfte nackt und der Gürtel seiner Jeans war offen. Sein buschiges Haar stand nach allen Seiten ab und ein dichter Schnurrbart hing zu beiden Seiten seines Mundes herunter. Eine Brille mit Drahtgestell vervollständigte das Bild und ließ ihn aussehen wie ein Überbleibsel der Sechziger.
»Eine Heilung. So, wie Sie vor ein paar Wochen Lucy Burns von ihrem Ischias geheilt haben.«
Oh, Scheiße!, dachte Alan. Jetzt fängt es an. Er konnte den Namen Lucy Burns nicht recht einordnen, aber er hatte gewusst, dass so etwas früher oder später passieren würde. Man konnte keine kleinen Wunder vollbringen, ohne dass darüber geklatscht wurde.
Er hatte zwar bisher die Blinden noch nicht wieder sehend gemacht – obwohl der graue Star der alten Miss Binghamton verschwunden war, nachdem er sie untersucht hatte –, aber er hatte Tauben das Gehör wiedergegeben und viele andere – er konnte nicht anders, er musste sie als Wunder bezeichnen – gewirkt.
Er war immer noch nicht in der Lage, die Gabe zu kontrollieren, und bezweifelte, dass dies je der Fall sein würde. Aber er hatte in den vergangenen Wochen eine Menge darüber gelernt. Er verfügte zweimal täglich für ungefähr eine Stunde über sie. Es lagen jeweils ungefähr zwölf Stunden dazwischen, aber nicht genau. Er besaß die Gabe jeden Tag zu einer anderen Zeit, ungefähr vierzig bis siebzig Minuten später als am Tag zuvor. Von Tag zu Tag verschob sich die »Stunde der Macht«, wie er sie jetzt bezeichnete, langsam weiter nach hinten. Sie trat auf, ohne mit einem in der medizinischen Wissenschaft bekannten Biorhythmus in Zusammenhang zu stehen. Er hatte den Versuch aufgegeben, sie zu erklären – er verwendete sie einfach.
Er ging mit der Gabe sehr umsichtig um, nicht nur aus Gründen der Geheimhaltung, sondern auch der Sicherheit. Er durfte zum Beispiel keinen Insulin spritzenden Diabetiker heilen, ohne den Patient über die Heilung zu informieren, sonst würde der sich am nächsten Morgen ganz normal seine Insulindosis injizieren und einen hypoglykämischen Schock bekommen. Er hatte niemals Ergebnisse versprochen, wenn er sie anwendete, nicht einmal angedeutet, dass er sie besaß. Er tat alles, um die Heilung als rein zufällig erscheinen zu lassen, und wies jede mit
Weitere Kostenlose Bücher