Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
oder zwei der Anwälte sah er niemanden im Raum, der jung genug war, um ebenfalls ein Sprössling Hanleys zu sein.
»Ich sehe keine möglichen Brüder und Schwestern hier«, flüsterte er Carol zu.
Sie nickte. »Sieht so aus, als wärst du ein Einzelkind.«
Die Spannung stieg, als ein älterer Anwalt, der sich als Harold Boothby vorstellte, eine Lesebrille aufsetzte und mit der Verlesung des Testaments begann. Nach einer Menge juristischen Blablas kamen sie endlich zu dem, was sie alle interessierte – den Hinterlassenschaften. Eine volle Million ging an Hanleys langjährigen Partner Dr. Edward Derr. Ein Anwalt, der nicht so recht zu den anderen zu gehören schien, machte sich Notizen und sagte etwas davon, dass dieses Legat aufgrund von Derrs Testament an dessen Frau übergehen würde. Jim schloss daraus, dass er der juristische Vertreter von Mrs Derr war. Die beiden Alten – Hanleys langjährige Haushälterin und der Gärtner – erhielten je eine Viertelmillion. Die alte Dame brach in Tränen aus. Das St. Francis Waisenhaus bekam ebenfalls eine Viertelmillion.
Bill schien bei dieser Aussicht fassungslos. »Wie gut wir das doch gebrauchen können!«, sagte er mit heiserer Stimme.
Jims Handflächen waren schweißfeucht. Außer mir ist niemand mehr übrig.
»Und schließlich«, tönte Mr Boothby, »hinterlasse ich den Rest meines Vermögens, alle Immobilien und finanziellen Einlagen James Jonah Stevens.«
Jim hatte plötzlich eine trockene Kehle: »W-wovon reden wir, wenn wir von dem ›Rest‹ reden?«
»Wir haben den Wert der Liegenschaften noch nicht bis auf den letzten Penny taxieren können«, sagte Mr Boothby und sah Jim über seine Brille hinweg an, »aber wir schätzen, dass der Wert Ihres Anteils annähernd acht Millionen Dollar betragen dürfte.«
Jim fühlte sich, als sei die Luft plötzlich aus dem Raum gesaugt worden. Neben sich hörte er, wie Carol kurz und schrill aufschrie und sich dann die Hand vor den Mund schlug. Bill war aufgesprungen und klopfte ihm auf die Schulter.
»Na, das ist doch mal was!«
Die nächsten paar Minuten waren ein Nebel aus Lächeln und Händeschütteln und Gratulationen. Jim ließ alles wie in Trance über sich ergehen. Er sollte sich freuen, sollte auf den Tischen tanzen, aber stattdessen fühlte er sich enttäuscht und betrogen. Da fehlte etwas.
Schließlich waren er und Carol mit Joe Ketterle, der in rasendem Tempo auf sie einredete, allein in dem Konferenzraum.
»– also wenn Sie irgendeinen juristischen Rat brauchen, wie Sie Ihren Anteil an der Hinterlassenschaft verwalten sollen, oder auch irgendeinen anderen Rat, bitte zögern Sie nicht, mich anzurufen.«
Er drückte Jim seine Karte in die Hand. Jim wurde plötzlich klar, warum er so hofiert wurde: Er war plötzlich ein wertvoller angehender Klient.
»Sie sind gut vertraut mit dem Hanley-Vermögen?«, fragte Jim, während er auf die Karte starrte.
»Sehr gut.«
»Gab es in seinen Unterlagen einen Hinweis, warum er mir den Großteil seines Vermögens vermacht hat?«
Ketterle schüttelte den Kopf. »Nein. Nirgendwo ist ein Grund angegeben. Heißt das, Sie wissen es nicht?«
Plötzlich wollte Jim nur noch raus aus dem Raum. Er brauchte einen stillen Ort, wohin er sich mit Carol zurückziehen konnte, damit sie beide die ganze Sache durchdiskutieren konnten.
Acht Millionen Dollar!
Er war plötzlich stinkreich und es machte ihm eine Heidenangst. Er wollte nicht, dass das Geld etwas an dem Leben änderte, das er mit Carol führte.
»Kann ich eine Kopie des Testaments haben?«
»Natürlich.«
»Danke. Und das Haus – es gehört mir?«
»Ja.« Er reichte Jim einen Umschlag. »Hier ist ein Schlüsselbund. Sie müssen selbstverständlich noch einmal hier vorbeikommen, um ein paar Papiere zu unterzeichnen, damit Ihnen das Eigentum offiziell übertragen wird, aber …«
Er nahm den Umschlag. »Schon gut. Ich melde mich.«
Jim zog Carol in den Korridor hinaus. Er sah Bill, der vor den Fahrstühlen stand, und war froh, dass er noch nicht gegangen war, aber dann fluchte er halblaut vor sich hin, als er sah, wer da bei ihm stand.
2.
»Verdammt!«
Carol sah zu Jim. Er schien jetzt noch angespannter als vor der Testamentsverkündung. Sie hatte erwartet, dass er danach wieder zu seinem lakonischen, sprücheklopfenden Selbst finden würde, aber stattdessen sah er ziemlich verbissen drein.
Vielleicht stand er unter Schock. Sie tat das bestimmt. Acht Millionen Dollar – eine unvorstellbare Summe.
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