Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
haariges kleines Geschöpf, so haarig wie ich. Du hattest sogar kleine Haarbüschel in den Handinnenflächen. Ich fragte mich, ob ich bei meiner Geburt wohl auch Haare in den Handflächen gehabt hatte. Ich überlegte, dass ich das meine Mutter fragen müsste, und dann fiel mir ein, dass die ja auch deine Mutter war.
Ich drückte dich an mich und war unglaublich gerührt. Bis zu diesem Augenblick warst du nur ein Experiment; zwar ein bahnbrechendes, aber eben doch nur ein Experiment, der Schlusspunkt einer langen Versuchsreihe, die wir mit Fröschen begonnen und mit Ratten und Schweinen fortgesetzt hatten. Du warst das Endprodukt eines Versuchs, ein Ding, eine Sache. Zuerst ein Embryo, dann ein Fötus, aber nie eine Person.
All das änderte sich, als ich deinen roten, plärrenden Körper in meinen Armen wiegte. Ich sah in dein Gesicht und die Ungeheuerlichkeit dessen, was wir da getan hatten, traf mich mit voller Wucht. Plötzlich warst du eine Person, ein junger Mensch, der ein ganzes Leben vor sich hatte. Mit einem Mal sah ich, was du als der erste menschliche Klon in den nächsten Jahren zu erwarten hattest. Eine Kindheit unter dem Mikroskop und unter den Augen der Weltöffentlichkeit; eine qualvolle Jugend als Abnormität, die Zielscheibe bösartiger Witze, ein Objekt für Scheinheiligkeit, Spott, Verachtung, vielleicht auch des Hasses von einigen fanatischen religiösen Splittergruppen.
Und was für ein Mann würde daraus werden, wenn man eine solche Jugend durchlebt hatte? Was für eine gequälte Seele musste dabei herauskommen? Ich sah, wie du mich hassen würdest. Ich sah, wie du wünschtest, nie geboren zu sein. Ich sah, wie du dich umbringen würdest.
In diesem Moment wusste ich, dass ich das nicht zulassen durfte.
Nachdem Derr die Nachgeburt geholt hatte, fragte ich Jazzy, ob sie dich in den Arm nehmen wollte, aber sie wollte nichts mit dir zu tun haben. Es schien sogar, als habe sie Angst vor dir. Ich gab ihr etwas gegen die Schmerzen, dann reichte ich dich an Derr weiter. Als er deinen strampelnden kleinen Körper in Händen hielt, sah er mich an. In seinen Augen lag Staunen, Freude und Triumph. Aber da war auch eine dunkle Wolke. Ich erinnere mich an unser damaliges Gespräch, als sei es heute gewesen.
»Wir haben es geschafft«, sagte er.
»Ich weiß. Aber was machen wir mit ihm, jetzt, wo wir ihn haben?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass die Welt bereit ist für ihn.«
»Das glaube ich auch nicht.«
Wir fütterten dich mit einer Traubenzuckerlösung, packten dich in deine Wiege und diskutierten bis tief in die Nacht hinein. Ich glaube, das war das erste Mal, seit wir mit dem Projekt Genesis begonnen hatten, dass wir ermessen konnten, was wir versucht hatten und was uns gelungen war. Bis dahin hatten wir uns aufgeführt wie irre Wissenschaftler aus einem Comic. Dein Weinen war wie eine Prise Vernunft. Aber uns war immer noch nicht klar, wie wir jetzt weiter vorgehen sollten. Am liebsten hätte ich Laughlin erklärt, dass wir einen völligen Fehlschlag erlitten hätten, und dann das ganze Projekt eingestampft. Derr meinte, das wäre voreilig. Er dachte, ich würde den öffentlichen Aufschrei zu schwarz sehen, den ein menschlicher Klon hervorrufen würde.
Unsere Diskussion wurde hitzig und Derr stürmte raus und in den ersten Stock hoch, um nach Jazzy zu sehen. Das war ein Glück. Weil wir uns stritten, schrammten wir so knapp an einer Tragödie vorbei.
Er war nur einen Augenblick verschwunden, da hörte ich ihn Jazzys Namen rufen. Ich ging ins Treppenhaus und fragte, was los sei. Derr rief zu mir herunter, dass Jazzy nicht auf ihrem Zimmer sei. Er würde im Badezimmer nachsehen. Ich ging auch nach oben, um nach dir zu sehen und da fand ich sie. Sie war über deine Wiege gebeugt. Mein erster Gedanke war, dass Jazzys mütterliche Instinkte doch noch die Oberhand gewonnen hatten. Dann bemerkte ich, dass sie ein Kissen in den Händen hielt und auf dein Gesicht drückte.
Ich schrie auf, schoss vor und riss sie von dir weg. Es war eine unendliche Erleichterung, als du sofort zu schreien begannst.
Damit wusste ich, dass du unverletzt warst, aber ich musste gegen Jazzy ankämpfen, die sich wieder auf dich stürzen wollte. Sie war wie ein wildes Tier, mit weit aufgerissenen Augen und Schaum vor dem Mund brüllte sie in ihrem Cajun-Akzent: »Tötet es! Tötet es! Das ist ein widerwärtiges, hassenswertes Geschöpf! Tötet es! Tötet es! Tötet es!«
Derr kam
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