Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
Duty-Free-Shop, dann wirst du sie sehen.«
Mutter holt eine Packung Ptasie Mlecko aus der Tüte, polnische Schokolade, die in der Wärme schon zu schmelzen begonnen hat. Ich nehme ein Stück davon.
»Aber vergiss nicht, dass sie nur ein bisschen Urlaub bei uns machen.«
»Aber die Nachbarn werden doch sehen, dass sie arbeiten.«
»Dann sagst du, dass es schwedische Handwerker sind.«
Ich mache die Augen zu und lehne den Kopf gegen die Wand. Dann schlafe ich ein. Eine Stunde später wache ich davon auf, dass sich zwei fremde polnische Männer vor mir aufbauen.
»Guten Tag, Fräulein Alicja, wir wollten nur Hallo sagen«, sagt einer von ihnen und streckt mir die Hand entgegen.
»Guten Tag«, sage ich schlaftrunken. Ich schüttle ihm die Hand und sehe Mutter noch winken, bevor sie im Duty-Free-Shop verschwindet.
»Ich bin Bogusław, und das ist mein Schwager Maciej«, sagt der Mann, der mich geweckt hat.
Pan Bogusław hat ein typisch polnisches Gesicht mit einer niedrigen Stirn, tief liegenden Augen und einer leichten Kartoffelnase. Pan Maciej ist deutlich kleiner, hat schwarze Haare und eine relativ dunkle Hautfarbe. Beide sind um die vierzig, und Pan Maciej ist so schüchtern, dass er mir nicht in die Augen schauen kann.
Wie so oft, wenn ich mit jemandem Polnisch reden muss, der nicht zur Verwandtschaft gehört oder älter ist als fünf, ist dieses Polnisch plötzlich wie ausgelöscht.
»Wart ihr schon einmal in Schweden?«, bekomme ich endlich heraus.
»Nein, das hier wird das erste Mal«, sagt Pan Bogusław mit einem breiten Lächeln. »Aber ich habe gehört, was es für ein schönes Land ist. Und was für bezaubernde Frauen es hat. Solche wie Sie.«
O nein! Handwerker und polnischer Charmebolzen.
Pan Maciej flüstert Pan Bogusław etwas ins Ohr.
»Wir wollen nicht länger stören«, sagt Pan Bogusław. »Do widzenia.« Tschüs.
Pan Maciej murmelt etwas, was ich nicht verstehe.
»Do widzenia« , sage ich und schaue ihnen nach.
Das sind sie also. Pan Maciej trägt eine Jeansjacke, dazu passende gebügelte Jeans und frisch geputzte Turnschuhe. Er sieht gepflegt aus. Im Gegensatz zu Pan Bogusław, der eine staubige weiße Kappe, ungeputzte Schuhe, schmutzige Hosen und eine Jacke mit Flecken von etwas trägt, was Mörtel sein könnte. Fehlt nur noch ein T-Shirt mit der Aufschrift »Illegaler Handwerker aus Polen«.
Als Mutter mit drei klirrenden Tüten aus dem Duty-Free-Shop zurück ist, bin ich an der Reihe. Die reichen Schweden beladen ihre roten Plastikeinkaufskörbe mit so vielen Stangen Zigaretten, Flaschen Schnaps und Familienpackungen Toblerone wie möglich. Die Polen stehen vor den Regalen mit den Sachen, die sie gern kaufen möchten, und rechnen nach, ob ihr Geld dafür reicht. Ich kaufe salzige Lakritze, weil ich die nicht werde teilen müssen. Mutter und Rafał verabscheuen schon normale Lakritze, als wäre sie radioaktiv verseucht.
Dann gehe ich auf dem Deck spazieren, aber es ist zu windig, also beschließe ich, ein bisschen im Schiff herumzustromern. Auf dem Gang zur Cafeteria sehe ich plötzlich Pan Maciej, der neben einem einarmigen Banditen auf dem Boden sitzt. Er liest in einem schwarzen Buch und murmelt dabei vor sich hin. Als ich begreife, dass er betet, bleibe ich stehen. Es ist mir so peinlich, als hätte ich ihn mit einem Pornoheft erwischt. Ich mache schnell kehrt und gehe zurück zu Mutter.
Die nächsten neun Stunden verbringe ich mit dem Verzehr von Salzlakritze, bis mir schlecht wird. Zwischendurch lese ich, versuche, auf dem Boden zu schlafen, gehe abwechselnd an Deck und wieder nach drinnen und betreibe Langzeitstudien an einer Gruppe junger Schweden, die einen Junggesellenabschied feiern und sich dabei von lustig nach besinnungslos saufen. Die Zeit steht still während der endlos langen Fahrt, und trotzdem fühlt es sich an, als würde mein Körper im schnellen Tempo altern. Hin und wieder denkeich an Ola Olsson, dann verwandelt sich mein Magen in einen harten Klumpen Lakritz. Bestimmt hat er mich längst vergessen. Was nur gut ist, weil wir sowieso nichts miteinander anfangen können. Wenn wir es tun würden, wäre es ein unverzeihlicher Verrat Natalie gegenüber, so schlimm wie der Verrat des Wirts Jossi im Kirschtal in den Brüdern Löwenherz .
Einer der feiernden Schweden beginnt jetzt hemmungslos zu weinen. Er ist der Einzige mit einer Krone aus Goldpapier auf dem Kopf, woraus ich schließe, dass er der künftige Bräutigam sein muss …
»Ich bin so
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