Wie angelt man sich einen Daemon
deutlich: »Allie? Bist du so weit?«
Ein weiterer Zentimeter und eine weitere Nachfrage halfen noch immer nichts. Im Zimmer herrschte völlige Stille.
Verdammt. Jetzt öffnete ich die Tür ganz und blieb dann regungslos auf der Schwelle stehen. Allein die Tatsache, dass sie noch immer ihren Pyjama trug, reichte, um meinen Zorn zu entfachen. Doch was mir das Herz beinahe zum Stehen brachte, war ihre Pose. Meine Tochter hatte sich vor ihrem Standspiegel aufgebaut und die Füße so platziert, als wollte sie angreifen. In ihren Ohren befanden sich, wie vermutet, die Stöpsel für den iPod, während sie in den Händen Stuarts alten Säbel hielt. Es war eine Nachbildung einer Waffe aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs, die er sich vor längerer Zeit einmal zugelegt hatte.
Ehe ich etwas sagen konnte, stürzte sie auf ihr Spiegelbild zu. Durch die Bewegung änderte sie ihren Blickwinkel und sah nun offenbar auch mich im Spiegel. Sie stieß einen erschreckten Schrei aus und wirbelte herum, wobei es ihr gerade noch gelang, den Säbel hastig hinter ihrem Rücken zu verstecken.
»Ich habe ihn bereits gesehen, Allie«, sagte ich, sobald sie sich den Kopfhörer aus den Ohren gerissen hatte. »Möchtest du mir verraten, was du da gerade gemacht hast?«
»Ich… Na ja… Weißt du…«
Ich hatte große Angst, dass ich es tatsächlich wusste. »Möchtest du darüber sprechen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht so wichtig. Ehrlich.«
Im Gegensatz zu ihr fand ich durchaus, dass es wichtig war. Sehr sogar. Die Frage war jetzt nur, wie ich damit umgehen sollte. Und das wusste ich für den Moment noch nicht.
»Weiß Stuart, dass du dir seinen Säbel genommen hast?«, wollte ich wissen, weil mir sonst nichts einfiel. »Ist das nicht der Säbel, der normalerweise in seinem Arbeitszimmer hängt?«
»Äh… Vielleicht.«
»Dann solltest du ihn besser wieder zurückhängen, ehe er bemerkt, dass er fehlt. Und zieh dich an«, fügte ich hinzu und bemühte mich, eine finstere Miene aufzusetzen. »Wir müssen gleich los.«
»Okay. Klar, kein Problem.« Sie stürzte sich auf ihren Schrank und war offensichtlich sehr froh, einer genaueren Befragung entgangen zu sein.
Ich verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Dann lehnte ich mich an die Wand und machte für einen Moment die Augen zu. Ich war mir sicher, dass ich die ganze Situation völlig falsch angegangen war, aber im Augenblick war ich zu aufgewühlt, um zu Allie ins Zimmer zurückzukehren und sie noch einmal darauf anzusprechen.
Vor langer Zeit war ich der Meinung gewesen, dass die Dämonenjagd ausgesprochen anstrengend war. Doch diese Ansicht hatte sich in dem Moment zerschlagen, als ich zum ersten Mal Mutter wurde.
Sie können mir glauben: Im Vergleich zum Mutterdasein war es verdammt einfach, einen Dämon zu jagen und ihn in die Hölle zurückzuschicken.
»Höher, Mami! Höher!«, kreischte Timmy, als seine kleinen Beine über den Kies flogen, während er von mir immer wieder auf der Schaukel angestoßen wurde.
»He, Würstchen«, meinte Allie, die neben ihm schaukelte. »Versuch doch, dich mit deinen Beinen abzustoßen – so wie ich. Dann brauchst du Mami gar nicht mehr.«
»Herzlichen Dank«, sagte ich und verspürte einen kleinen Stich in meinem Herzen. Es stimmte. Allie befand sich bereits in einem Alter, in dem sie mich kaum mehr brauchte. Und obwohl Timmy noch nicht ganz drei war, würde er eines Tages auch so weit sein. Auch das gehörte zu den bittersüßen Momenten des Mutterseins. Man überschüttete die Kinder mit Liebe und Aufmerksamkeit, damit sie groß und stark, selbstbewusst und unabhängig wurden. Und wenn es einem gelungen war, diese Aufgabe zu erfüllen, dann hatte man Menschen herangezogen, die es wunderbar schafften, ohne einen zurechtzukommen.
Wir befanden uns auf dem Spielplatz hinter der Kathedrale, nachdem wir Timmy von der Kinderbetreuung abgeholt hatten (ein wahrer Lebensretter, den es leider nur selten in katholischen Kirchen gibt). Jetzt waren wir von Kindern umgeben. Sie schaukelten, kletterten, wippten und verbrannten im Grunde die ganze Energie, die sich während der Stunde Messe angesammelt hatte.
Wir waren mit zwei Autos gekommen. Stuart befand sich bereits wieder auf dem Weg in sein Büro. Genau genommen war zwar heute sein letzter Urlaubstag, aber ich hätte eigentlich wissen müssen, dass die Versuchung, nach der Kirche gleich wieder ins Büro zu fahren, viel zu groß war, als dass er ihr hätte
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