Wie angelt man sich einen Earl
zur wahren Tortur gesteigert.
Sein Teil des Vertrags war erfüllt; hatte er jetzt nicht das Recht, seinen Lohn dafür einzufordern? Aber selbst wenn Angel irgendwann in seinem Bett und seinen Armen lag und es ihm gelingen sollte, ihre Leidenschaft zu entfachen … wer sagte ihm, dass ihre Reaktionen wirklich ihm galten und nicht seinem Status und dem Geld, das er in seine Ehefrau investiert hatte?
Aber warum interessierte ihn das überhaupt? Ihm ging es schließlich nur um einen Erben, oder nicht?
Was bin ich nur für ein Idiot! ging Rafe mit sich ins Gericht.
„Wenn die Bibliothek nun auch dem Brand zum Opfer gefallen wäre?“, überlegte Angel laut und in völliger Unkenntnis seiner stummen Qualen.
Rafe schaute wie blind um sich, bis sein Blick an dem riesigen Globus hängen blieb, der ihm als Kind immer als Raumschiff für seine Fantasiereisen gedient hatte. Es brauchte zwei Paar Hände, um das Ungetüm zu bewegen. Ein Anachronismus, das Relikt einer längst versunkenen Epoche … seinem Besitzer nicht unähnlich.
„Ich könnte den Gedanken, so viele wundervolle Bücher zu verlieren, nicht ertragen“, spann Angel ihren Faden weiter. „Ich selbst habe nur wenige, aber sie bedeuten mir alles.“
Rafe trat an eines der Regale, betrachtete die verblichenen Buchrücken und sog tief den vertrauten Geruch von altem Leder und staubigem Papier ein. „Zum Glück hatte mein Bruder nie besonders viel für diesen Raum übrig“, bemerkte er trocken, wobei das noch untertrieben war. Die Bibliothek war immer sein privates Refugium gewesen. Vielleicht irritierte es ihn deshalb so, Angel hier zu sehen. Doch als er sich zu ihr umdrehte, beschäftigte sie sich mit dem Bücherstapel auf dem Boden. „Und wäre er mehr an Büchern interessiert gewesen, hätte er sie womöglich noch dazu benutzt, das Feuer zu entfachen. Aber wie es heißt, war es ein Unfall.“
„Tut mir leid“, sagte Angel nach einer Pause.
„Das muss es nicht.“ Warum hatte er dieses leidige Thema überhaupt berührt? Doch jetzt, da es einmal geschehen war, konnte er offenbar gar nicht mehr aufhören, darüber zu reden. „Oliver war schon als Kind ein Quälgeist und kaum zu ertragen. Es reichte ihm nicht, der Erbe zu sein. Er genoss geradezu exzessiv die Freiheiten, die er sich selbst einräumte und sah meine Geburt als persönliche Beleidigung an.“ Rafe lachte hart auf. „Dabei rede ich von der Zeit, als mein Vater noch lebte! Lange bevor Oliver anfing zu trinken und wirklich gemein wurde.“
Warum erzählte er ihr das alles? Und wenn, warum dann nicht gleich die ganze Wahrheit, die er selbst erst nach all den Jahren und nach Olivers Tod akzeptieren konnte? Dass es einen Grund dafür gegeben hatte, dass Oliver ihn so schlecht behandelt und ihre Mutter ihn dazu sogar noch ermutigt hatte. Dass er etwas in sich getragen haben musste, womit er dieses Verhalten provozierte. Schon als Kind hatte er keine Chance auf ein normales Leben. Doch das konnte er Angel nicht sagen.
„Was hat er dir denn getan?“
„Pardon?“ Rafe brauchte einen Moment, um in die Gegenwart zurückzufinden.
„Jeder beschwert sich doch darüber, von seinen älteren Geschwistern gepiesackt worden zu sein, oder nicht?“, fragte Angel mit schief gelegtem Kopf und in ihrer direkten Art, die alles irgendwie leichter erscheinen ließ, egal, um welches Thema es sich handelte. „Jeder sieht sich doch gern als Märtyrer seiner eigenen Geschichte, und manche haben natürlich auch das Recht dazu. Aber andere machen gleich ein Drama daraus, wenn sie sich als Kind mal um das letzte Stück Kuchen geprügelt haben, und benutzen das ein Leben lang als Rechtfertigung für ihr Verhalten.“
Angel sah ihn an, als erwarte sie, jetzt genau so eine Episode zu hören, und reizte ihn damit unerwartet zum Lachen. Das verblüffte ihn noch mehr als die Tatsache, dass er Oliver überhaupt erwähnt hatte. „Leider war mein Bruder nicht der Typ, sich um ein Stück Kuchen zu prügeln, das wäre viel zu offensichtlich gewesen. Er zog es vor, nicht vor aller Augen und lieber aus dem Hinterhalt zu agieren“, erwiderte er vorsichtig.
Angel ließ sich wieder in den Sessel fallen, und zum ersten Mal sah Rafe so etwas wie Schmerz in ihren klaren Augen. „Hört sich ein bisschen nach meiner Mutter an. Sie steckt immer bis zum Hals in irgendwelchen Schwierigkeiten und tut nie das, was man von ihr erwartet. Man weiß nur, dass es einen wieder etwas kosten wird … auf die eine oder die andere
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