Wie ausgewechselt
glaubt man: So, und jetzt geht’s erst richtig los.«
Was die Spieler nicht ahnen können: Nach der Partie wird es anstrengend und ungemütlich. Zunächst, weil Fans und Spieler des Verlierers durchdrehen, und in den nächsten Tagen wegen der Siegesfeiern. Noch am Abend in Glasgow belagern Hunderte Liverpooler Fans die Borussen-Kabine, sodass die Spieler den Mannschaftsbus nur unter Polizeischutz erreichen. Die Westfälische Rundschau schreibt am 6. Mai 1966: »Schlachtenbummler und Spieler bedrohten und schlugen die Borussen. Wosab wurde regelrecht k. o. geschlagen, Aki Schmidt erhielt einen Tritt gegen das Schienbein und Torhüter Tilkowski einen Boxhieb in die Magengrube. Außerdem schimpften einige Liverpooler Spieler lauthals auf die Spielweise ihres Gegners.«
»Unser Hotel, das Marine in Troon, lag etwa 20 Kilometer außerhalb Glasgows zwischen grünen Golfplätzen an der Irischen See. Auf der langen Busfahrt zurück zu unserem Quartier haben wir erst so langsam realisiert, was passiert ist. Es war der erste große Titel einer deutschen Mannschaft, der weltweit für Aufsehen sorgte, seit dem WM-Gewinn der Nationalelf 1954 in der Schweiz. Und dennoch musste unsere Siegesfeier im Hotel improvisiert werden, weil der Vorstand einen Sieg für beinahe ausgeschlossen gehalten und kaum Vorbereitungen getroffen hatte. Es gab kein festliches Bankett, wie es heute sicher organisiert werden würde. Ganz im Gegenteil: Als wir nach dem Spiel zurück ins Hotel kamen, war das Personal schon weg. Wir mussten erst einmal zusehen, dass wir noch etwas zu essen und zu trinken bekamen, haben dann aber noch lange zusammengesessen mit den Trainern, den Betreuern, den mitgereisten Geschäftsleuten sowie unseren Frauen oder Freundinnen. Es flossen reichlich Bier und Sekt.«
Für manche wohl zu viel. Denn bei einem Fototermin weit nach Mitternacht auf der Hotelterrasse über dem Meer albern die siegestrunkenen Borussen so sehr mit dem Pokal herum, dass die silberne Trophäe in die Brandung fällt. In letzter Sekunde reißt Schmidt das gute Stück aus den Wogen und bewahrt die Glücklichen vor der Häme mit Schlagzeilen wie »BVB gewinnt und versenkt den Europacup«.
Entsprechend mitgenommen und übernächtigt sehen die Sieger dann am nächsten Morgen in ihren dunkelblauen Blazern mit dem schwarz-gelben Wappen auf der Brust und den grauen Hosen aus. Mit dem Flieger geht es nun zurück nach Köln. Schon auf der Rollbahn des Flughafens warten dort Hunderte Fans. An der B 54 werden die Helden von Glasgow in offene Wagen gesetzt und per Autokorso in die Dortmunder Innenstadt kutschiert.
»Die ganze Fahrt war ein einziger Triumphzug. Die Wagen mussten immer wieder anhalten auf dem Weg zum Borsigplatz im Herzen der Stadt. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir für den Weg gebraucht haben. Ganz Dortmund war aus dem Häuschen, die ganze Stadt pickepackevoll. Es wurden immer mehr Leute, hatte ich das Gefühl. Es hieß später, rund eine halbe Million Menschen seien auf den Beinen gewesen. Ein Wahnsinn. Vielen von uns fielen hier und da schon die Augen zu. Nach der Ehrung im Rathaus habe ich den Abgang gemacht. Mir wurde das zu viel. Ich war total kaputt, habe einen Freund gebeten: ›Bitte bring mich nach Hause.‹ Ich hatte ja noch kein Auto. Die anderen ließen sich noch stundenlang feiern.«
Die Mannschaft ist ausgelaugt, psychisch und physisch erschöpft. Nach 31 Bundesliga-Spieltagen liegt Dortmund als Tabellenführer auf Titelkurs, einen Punkt vor dem TSV 1860 München. Obwohl Trainer Multhaup den Spielern ein paar Tage freigibt, verspielen sie in den letzten drei Partien den Titel: Dem 0 : 1 in Bremen folgt das direkte Aufeinandertreffen mit den Sechzigern in Dortmund. Am vorletzten Spieltag gewinnen die Löwen im Stadion Rote Erde mit 2 : 0, eine Vorentscheidung ist gefallen. Durch das 1 : 4 des BVB in Frankfurt eine Woche darauf geht die Meisterschale nach München. Drei Niederlagen am Stück – dieser Einbruch der Schwarz-Gelben nach dem Triumph von Glasgow kostet den möglichen zweiten Titel der Saison. Näher sollte Assauer der Meisterschale als Spieler nie mehr kommen. Eine kleine Entschädigung: Für den Europacupsieg bekommt jeder Borusse aus den Händen von Bundeskanzler Ludwig Erhard das Silberne Lorbeerblatt. Diese Ehre wurde zuvor noch keiner Fußballmannschaft zuteil.
»Diese Saison gilt wegen des Europacupgewinns als der Höhepunkt der damaligen Dortmunder Ära. Es war auch der Scheitelpunkt dieser erfolgreichen
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