Wie Blueten Am Fluss
wieder und wieder, bis sie spürte,
wie der kleine Kopf auf ihre Schulter fiel. Behutsam sang sie immer leiser und blieb schließlich
stehen, weil sie ganz sicher sein wollte, daß der Junge wirklich fest schlief, bevor sie ihn wieder ins Bett legte.
Shemaine bewunderte gerade in dem spärlichen flackernden Licht die hübschen Züge des Kindes, als
sie spürte, daß jemand in den größeren Raum getreten war. Es war weniger der Klang seiner Schritte,
der sie hatte aufmerken lassen, als eine leichte Bewegung, mit der er an seine Seite des Bettes trat. Sie blickte auf, um ihm zu erklären, warum sie in sein privates Reich eingedrungen war, aber 257
als sie ihn nackt im Mondschein stehen sah, war sie plötzlich des Sprechens nicht mehr mächtig.
Winzige Wassertröpfchen funkelten wie Diamanten auf seinem muskulösen Leib und verrieten, daß er
soeben einem Bad im Fluß entstiegen war. Im Augenblick war er damit beschäftigt, sich mit einem
Handtuch kräftig das Haar trockenzureiben. Anscheinend hatte er sie noch nicht bemerkt.
Shemaine jedoch war sich mit allen Sinnen seiner bewußt. Noch nie zuvor hatte sie einen nackten
Mann gesehen, und der Anblick dieser hochgewachsenen, kraftvollen Gestalt war für ihre
jungfräulichen Empfindungen ein rechter Schock. Dennoch schlugen sie gleichzeitig die Schönheit
und die kühne männliche Anmut dieses Körpers vollkommen in ihren Bann. Genau wie seine Kleider
ahnen ließen, waren seine Schultern unglaublich breit und hatten die Polster, die die selbstherrlichen Lords gewöhnlich in ihre Mäntel arbeiten ließen, nicht nötig. Seine kräftige Brust verschlankte sich zu der muskulösen Taille und den schmalen Hüften hin. Eine feine, dunkle Linie führte von seiner leicht behaarten Brust nach unten über seinen flachen, harten Bauch und lockte ihren Blick unwiderstehlich
tiefer hinab.
Mit brennenden Wangen und wild schlagendem Herzen stand Shemaine wie angewurzelt da,
außerstande, den Blick von ihm abzuwenden. Trotz all der delikaten und ein wenig verlegenen
Beschreibungen, die ihre Mutter ihr vom männlichen Körper gegeben hatte, trotz all ihrer sanften
Erklärungen, was sie zu erwarten haben würde, wenn sie Maurice heiratete, begriff Shemaine in
diesem Augenblick, daß sie doch nicht gar so viel... männliche Reife... erwartet hätte!
Da sie auf keinen Fall seine Aufmerksamkeit erregen und sich der Demütigung aussetzen wollte, daß
ihr Herr erfuhr, daß sie seine geschlechtliche Nacktheit betrachtet hatte und nicht wie eine
erschrockene Jungfer geflohen war, zog Shemaine sich sehr langsam und sehr leise in Andrews kleines
Zimmer zurück. Dennoch konnten ihre sich überschlagenden Gedanken keinen Fluchtweg finden,
nicht, da sie wußte, daß sie früher oder später ohnehin an dem Mann vorbei mußte.
Auf einmal stockte Shemaine, denn sie sah, daß in den mann—
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liehen Lenden eine Veränderung vor sich ging. Das Fleisch seines Geschlechts wurde nun viel
deutlicher, auffälliger.
Ihr Blick flog nach oben und durchdrang die Strahlen des Mondlichts ebenso wie die in Schatten
getauchten Winkel des Raums, bis sie sah, daß die silberbeschienenen, braunen Augen sie von der
anderen Seite des Bettes aus anlächelten. Das Handtuch baumelte um Gages kräftigen Nacken, und die
Arme hingen entspannt herunter. Das schwarze Haar, feucht und wild zerzaust, schimmerte in der
Düsternis.
»Es tut mir leid«, stieß sie mit erstickter Stimme hervor und überlegte gequält, daß sie sich, seit sie in seine Dienste getreten war, bei weitem zu häufig hatte entschuldigen müssen. »Andrew hat geweint, und ich wußte nicht, wo Sie waren!«
In der Stille, die nun folgte, drehte Shemaine sich auf ihren nackten Füßen um die eigene Achse und
legte den Jungen in sein Bett. Verzehrt von brennender Scham, schloß sie die Augen und rang mit
zitternden Gliedern um Fassung. Aber so sehr sie sich auch mühte, hatte sich doch ein Bild dessen,
was sie gerade gesehen hatte, auf ewig in ihr Gedächtnis eingebrannt. Es flammte so deutlich vor
ihrem inneren Auge auf, als starre sie den Mann immer noch an.
Atemlos richtete Shemaine sich auf und hielt den Blick sorgsam von dieser männlichen Nacktheit
abgewandt, während sie durch die offene Tür floh und in die große Wohnküche entkam. In ihrer Hast
stolperte sie auf der Treppe und mußte die Zähne zusammenbeißen, um den jähen Schmerz zu
unterdrücken, der in ihrem angeschlagenen Schienbein pulsierte, aber sie
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