Wie Blueten Am Fluss
besser, mein Liebstes?«
»Ja.«
»Brauchst du noch mehr Luft?«
»Wenn es dir nichts ausmacht.«
»Du weißt, daß ich alles für dich tue«, erwiderte er, sah sie mit einem glücklichen Lächeln an und
wollte mit ihr in eine ruhigere Seitenstraße abbiegen.
Als Gage hörte, daß jemand eilig hinter ihnen herlief, blickte er über seine Schulter und sah, daß der kostbar gekleidete Herr sich ihnen in aller Eile näherte. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Die Augen des Mannes ruhten auf Shemaine.
Angesichts dieser Unverfrorenheit stieß Gage ein leises, kehliges Knurren aus. »Da schau her! Einer
der Neuankömmlinge hat bereits eine Vorliebe für dich gefaßt?«
Die leise hervorgestoßene Frage ihres Mannes lenkte Shemaines Blick den Gehsteig hinunter, so daß
der unausweichlich näher kommende Verehrer sie im Profil sehen konnte.
»Shemaine! Shemaine! Beim Himmel, du bist es wirklich!«
»Maurice?« Als sie die Stimme erkannte, drehte sie sich verdutzt um, und plötzlich stand ihr
ehemaliger Verlobter vor ihr, ließ seinen Stock fallen und riß sie stürmisch in seine Arme. Dann
wirbelte er sie, von Begeisterung gepackt, im Kreis herum, bis sie den Boden unter den Füßen verlor.
»Shemaine, wir haben schon gedacht, wir würden dich nie wiederfinden!« rief er, ohne von seinem
Freudentanz abzulassen. »Durch reinen Zufall hat deine Mutter eine Frau gesehen, die deine Stiefel
trug, und sie bestochen, ihr zu verraten, woher sie sie hatte!«
»Sie entschuldigen?« blaffte Gage den anderen Mann an. Er hatte den Namen erkannt und wähnte sich
angesichts der schönen und aristokratischen Gesichtszüge des Fremden in ernster Gefahr, das Herz
seiner Frau wieder an ihren ehemaligen Verlobten zu verlieren.
»Maurice, setz mich ab! Um Himmels willen, setz mich ab!
Sofort!« keuchte Shemaine und preßte sich das Taschentuch auf den Mund, da ihre Welt sich wie verrückt vor ihren Augen drehte.
Der Marquis kam ihrer Bitte auf der Stelle nach und sah dann einigermaßen verwirrt zu, wie Shemaine
sich taumelnd einige Schritte von ihm entfernte. Mit tiefen, regelmäßigen Atemzügen mühte sie sich
tapfer, die Übelkeit niederzukämpfen, die in ihr aufstieg, aber die Stadt um sie herum schien immer
noch nicht haltmachen zu wollen. Ihr Magen rebellierte, und sie streckte schwach eine Hand hinter
sich, worauf Gage sofort an ihre Seite trat.
Maurice sah stirnrunzelnd zu, wie der Fremde einen Arm um die schmale Taille legte, die er selbst
früher besitzergreifend umfaßt hatte. Dann strich der Mann über dieselbe klare Stirn, die auch er
einstmals liebevoll geküßt hatte. Die beiläufige Vertraulichkeit, mit der der Fremde seine Verlobte
berührte, entfachte einen nicht geringen Zorn in seinem Herzen. Beinahe wäre er vorgetreten, um zu
protestieren. Doch in diesem Augenblick dämmerte ihm endlich, in welchen Nöten seine Verlobte sich
befand, da sie versuchte, ein Würgen hinter einem Spitzentaschentuch zu verbergen.
Ohne lange zu zögern, eilte Maurice zu dem Pferdetrog, befeuchtete sein Taschentuch und kehrte
zurück, um es ihr hinzuhalten. Shemaine schenkte ihm zum Dank ein schwaches Nicken und tupfte
sich, immer noch an Gage gelehnt, über das Gesicht. Er strich ihr ein paar Haarsträhnen von den
erhitzten Wangen und legte ihr einen Arm um die Schultern, während sie ihren Kopf hilfesuchend
gegen seine Brust lehnte.
Die Vertrautheit, mit der Gage sie in den Armen hielt, quittierte ihr ehemaliger Verlobter mit einem
finsteren Blick, doch er war zu verblüfft, um zu reagieren.
»Was zum Teufel geht hier vor?« verlangte eine andere Stimme von der Straße aus zu wissen; der
Neuankömmling schien Maurice die Worte aus dem Mund zu nehmen.
»Papa?« Shemaine hob ruckartig den Kopf und sah sich mit klopfendem Herzen um. Die Stimme war
unverkennbar, und als ihr Blick auf den drahtigen, elegant gekleideten Mann fiel, der breitbeinig
mitten auf der Straße stand, glaubte sie nicht länger an eine Halluzination. »Papa! Oh, Papa!«
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Shemaine vollführte am Rand des Gehsteigs beinahe einen Luftsprung und rannte ihm überglücklich
entgegen. Mit vier langen Schritten stand Shemus O'Hearn schließlich vor ihr und riß seine Tochter in
die Arme. Gage sah dem Treiben zuerst zornig, dann jedoch respektvoll zu. Er hatte endlich
verstanden, was sich da abspielte.
»Wer zum Teufel sind Sie eigentlich?« fuhr Maurice du Mercer ihn an, ohne Gage Zeit zum
Antworten zu geben. Mit energischer Stimme
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