Wie Blueten Am Fluss
plötzlich in ihrer Kehle
gebildet hatte, herunterzuschlucken. »Nur daß ich meine Eltern so sehr vermisse.«
»Vielleicht können wir sie besuchen, wenn ich das Schiff verkauft habe«, meinte er. »Würde dir das
gefallen?«
Shemaine nickte und fächelte sich mit einem Taschentuch Luft
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zu, weil sie sich mit einem Mal etwas schwach fühlte. »Ich finde, es ist furchtbar stickig hier drin,
Gage, meinst du nicht auch?«
Gage strich ihr sanft mit einem Finger über das Gesicht. »Du hast auch ganz rote Wangen.«
»Das ist bestimmt deine Schuld«, murmelte sie mit einem Lächeln und tauchte in die Wärme seiner
Augen ein.
»Möchtest du hinausgehen, um ein wenig frische Luft zu schnappen?«
»Ich kann es kaum erwarten.«
Etliche Zeit später, nachdem alle dem Paar ihre guten Wünsche überbracht hatten, gesellte Annie sich
zu Shemaine auf den Kirchhof. Bisher hatte Annie es immer vermieden, von den Dingen zu sprechen,
die zu ihrer Verhaftung geführt hatten, denn ihre Erinnerungen waren ihr allzu schmerzlich erschienen, aber jetzt schien sie ihre Vergangenheit gelassener betrachten zu können.
»Dieses Land und seine Menschen haben mir einen neuen Anfang ermöglicht, Myliedy. Hier stehe ich,
endlich verheiratet und mit ein wenig Hoffnung für die Zukunft.« Die kleine, zierliche Frau bedachte
ihr neues Kleid mit einem bewundernden Blick und strich mit ihren von der Arbeit rauhen Händen
über die Ärmel. »Etwas so Kostbares hätte ich in England niemals besessen, Myliedy. Nachdem meine
Ma krank wurde, besaßen wir keinen einzigen Penny mehr. Ich habe den Mann, der in der Apotheke
arbeitete, angebettelt, mir die Kräuter zu geben, die meine Ma brauchte, denn sie war wirklich
furchtbar krank. Er sagte, er würd's tun, wenn ich ihm zu Willen wäre. Er war so grob, daß ich anfing
zu schluchzen, bevor er mit mir fertig war. Da wurde er erst richtig wütend und schlug mich, damit ich den Mund hielt. Hinterher sagte er, ich war' eine Schlampe, weil ich für eine Handvoll Kräuter meine Jungfräulichkeit verkauft hätte. Dann hat er mich mit einem Tritt aus dem Laden geworfen, ohne mir
auch nur ein winziges Zweiglein zu geben. Er meinte, ich würd' nichts verdienen, weil ich ihn bei
seinem Spaß empfindlich gestört hätte. Da hab' ich mit der Faust an die Tür gehämmert und ihn
angefleht, mir die Kräuter zu geben, aber er hat nicht mehr geantwortet. Später hab' ich dann gemerkt, daß ich sein Kind im Leib trug. Es war schon fast 464
Zeit für die Geburt, als ich noch mal zu ihm ging, um ihn anzuflehen, denn mit meiner Ma war es
immer schlimmer geworden. Er hat mich nur ausgelacht und gemeint, das Balg war' bloß meine Sorge,
nicht seine. Er hat mich so wütend gemacht, daß ich ihm mit einer schweren Phiole auf den Kopf
geschlagen und die Kräuter gestohlen hab'. Aber als ich zurück zu meiner Ma kam, war sie bereits tot.
In derselben Nacht ist dann mein Sohn zur Welt gekommen. Eine Zeitlang hab' ich mich versteckt,
denn ich wüßt' nicht, wohin, aber kurze Zeit später hat der Vater des Kindes mich auf der Straße
betteln sehen und mich verhaften lassen.«
Shemaine blinzelte hastig gegen die Tränen an, die ihr in die Augen geschossen waren, und schlang
die Arme um ihre Freundin, um sie lange und tröstend festzuhalten. »Hast du Colby erzählt, was dir
passiert ist?«
Annie nickte schniefend. »Das mußte ich doch, Myliedy. Ich konnte ihn nicht heiraten, ohne ihm die
ganze Wahrheit zu sagen. Er meinte, er würd' mich trotzdem lieben, und wir würden miteinander einen
neuen Anfang machen. Wir würden eine Familie gründen und zusammen alt werden.«
Shemaine lächelte voller Zuneigung. »Es sieht so aus, als hätte dir das Schicksal einen liebevollen und fürsorglichen Ehemann geschenkt, Annie.«
In diesem Augenblick trat Colby zu ihnen und legte seiner Braut einen Arm um die Schultern. »Unsere
Gäste brechen zum Gasthof auf, Annie. Wir sollten besser vorausgehen, damit wir sie dort begrüßen
können.«
Als sie gingen, sah Shemaine sich nach Gage um. Dann huschte ein Lächeln über ihre Züge, als sie
plötzlich jemanden dicht hinter sich spürte und blau gekleidete Arme sie umschlangen.
»Suchen Sie zufällig nach mir, Madam?« flüsterte ihr Mann ganz nah an ihrem Ohr.
Ihre Antwort kam mit einem glückseligen Seufzer. »Nur wenn Sie der Mann meiner Träume sind.«
»Sagen Sie mir, Madam, wie sieht der Mann Ihrer Träume aus?«
»Groß, mit schwarzen Haaren,
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