Wie Blueten Am Fluss
erklärte er seinerseits: »Als wir, kurz nachdem ihre
Stiefel gefunden wurden, in Newgate Nachforschungen anstellten, erzählte man uns, Shemaine sei mit
der London Pride außer Landes gebracht worden. Wir hatten das Glück, die Segel der London Pride zu erkennen, während wir hierher unterwegs waren, und wir haben unseren Kapitän veranlaßt, Kurs auf dieses Schiff zu nehmen und uns überzusetzen. Als wir an Bord der London Pride gingen, erzählte Kapitän Fitch uns, daß Shemaine hier in Newportes Newes als Dienerin an einen Siedler namens Gage Thornton verkauft worden sei. Sind Sie dieser Mann?«
»Jawohl, der bin ich.«
Maurice' Gesicht verzog sich vor Ärger. »Der Bootsmann der London Pride hat uns überdies davon in Kenntnis gesetzt, daß ihm in der Stadt Gerüchte zu Ohren gekommen seien, daß der Siedler, der Shemaine gekauft hatte, seine erste Frau getötet haben soll.«
»Solche Gerüchte hat es gegeben«, erwiderte Gage scharf. »Aber es konnte nie bewiesen werden, da
ich sie nicht getötet habe!«
Maurice warf den Kopf mit einer verächtlichen Geste in den Nacken. »Wie kommt es nur, daß ich
Ihnen nicht glaube?«
»Vielleicht weil Sie mir nicht glauben wollen«, gab Gage zurück.
»Da haben Sie recht! Ich will es nicht! Ich will vielmehr etwas ganz anderes: Ihnen meine Faust zu
schmecken geben!«
Als Gage den Blick des Marquis erwiderte, war der Ausdruck seiner Augen kühl und gelassen.
»Meinetwegen. Sie können es gern versuchen.«
»Shemaine!« erklang da eine weibliche Stimme, und die beiden Streithähne sowie auch Shemaine
richteten ihre Aufmerksamkeit
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auf eine kleine, schlanke Frau mit hellblondem Haar, die über die Straße auf Shemaine und ihren
Vater zugeeilt kam. Neben ihr gingen zwei Frauen in der Aufmachung von Dienerinnen, die alle Mühe
hatten, mit ihrer Herrin Schritt zu halten - eine davon eine ältere, rundliche Frau mit grauem Haar und die andere eine Magd von etwa dreißig Jahren.
»Mama!« rief Shemaine und befreite sich verzückt aus der Umarmung ihres Vaters. Sie winkte ihrer
Mutter überglücklich zu und rannte ihr ebenso entgegen wie vorher ihrem Vater. Mit einem
Freudenschrei fielen die beiden Frauen sich in die Arme. Fest aneinandergedrückt standen sie mitten
auf der Straße und scherten sich nicht darum, daß vor ihnen und hinter ihnen Reiter und Wagen
passierten. Endlich lockerten sie ihre stürmische Umarmung, so daß sie einander ansehen und
begreifen konnten, daß sie wirklich leibhaftig voreinander standen.
Die ältere Dienerin weinte vor Rührung und wartete ungeduldig, Shemaine ebenfalls zu umarmen.
Während sie sich lautstark in ein Taschentuch schneuzte, dämmerte es Shemaine, daß auch ihre alte
Köchin mitgekommen war. Sie löste sich von ihrer Mutter, drehte sich strahlend zu der Frau um und
nahm sie fest in die Arme. »O Bess! Wie wunderbar, dich wiederzusehen! Euch alle!« Mit einem
glücklichen Lachen trat Shemaine einen Schritt zurück und umarmte dann auch die jüngere Dienerin.
»Nola! Um Himmels willen, was tust du denn hier?«
Ihre Mutter schaltete sich ein und erklärte: »Ich habe mir Nola in deiner Abwesenheit als Zofe
genommen, Shemaine, weil meine alte Sophy zu kränkeln begann. Aber Nola wird, sobald du zurück
in England bist, wieder dir gehören.«
Shemaine sah sich um und streckte dann die Hand nach Gage aus, um ihn zu sich zu bitten. Ihr Vater
und Maurice, die beide auf der Stelle eine maßlose Abneigung gegen den Siedler gefaßt hatten, folgten
ihm dicht auf den Fersen. Es war sein vertrauter Umgang mit der Frau, die ihnen als Tochter und
Verlobte am Herzen lag, der ihnen zutiefst gegen die Ehre ging.
»Mama... Papa... Maurice...« Shemaine streifte jeden der Genannten mit einem kurzen Blick, bevor sie
liebevoll die Hand auf
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Gages Arm legte und ihn an sich zog. »Das ist mein Mann, Gage Thornton.«
»Dein Mann!« stieß Maurice hervor. »Aber du warst mit mir verlobt!«
Shemus ergriff Gages rechte Schulter und drehte ihn heftig zu sich herum, bis die beiden Männer sich
Auge in Auge gegenüberstanden. Es spielte keine Rolle, daß der Siedler einen ganzen Kopf größer war
als der Ire. Shemus packte Gages Rockaufschläge und starrte mit dem ganzen Zorn eines empörten
Vaters zu ihm auf. Selbst sein gelocktes rotes Haar, in das sich im Laufe der Jahre hellere, fast weiße Strähnen gemischt hatten, schien vor Wut zu Berge zu stehen. »Was hat das zu bedeuten, daß Sie meine Tochter ohne meine
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