Wie Blueten Am Fluss
daher wird er vielleicht etwas länger brauchen, aber er wird kommen. Ja, ich denke, es ist bei
weitem besser, wenn du mich mit der Pistole tötest, Roxanne, denn auf diese Weise kann ich sicher
sein, daß du den Leuten nicht einzureden vermagst, Gage habe mich getötet.«
»Bring sie zum Bug rauf, Cain«, blaffte Roxanne den Buckligen mit einem zornigen Blick an. »Wenn
du's nicht tust, schieße ich deinem kleinen Liebling auf der Stelle ein Loch in den Kopf!«
»Nach Shamon!« krächzte er, und sein Gesicht verzerrte sich gräßlich unter den Qualen, die in ihm
tobten. »Batt nach Shamon!«
»Bitte! Bitte! Bitte!« äffte Roxanne ihn hämisch nach. »Habe ich dich nicht gebeten, mir zu helfen?
Und was hast du getan? Du hast dich taub gestellt gegen mein Flehen, das hast du getan! Nun, ich
werde Shemaine töten, Cain, und nichts, was du sagen oder tun könntest, wird mich davon abhalten.
Es wird entweder ein Schuß in den Kopf sein oder ein Sturz vom Bug, aber so oder so, sterben wird
sie.«
Roxanne streckte den Arm aus und zielte mit dem Lauf der Pistole zwischen Shemaines Augen.
Shemaine spürte, wie eine übelkeiterregende Furcht ihr den Magen hochstieg, aber sie weigerte sich,
auch nur einen einzigen Schritt in Richtung Bug zu machen. Sich erschießen zu lassen war die einzige
Möglichkeit, wie sie ihren Mann vor dem Henker retten konnte.
Mit einem unmenschlichen Brüllen hüpfte Cain ein paar Schritte nach vorn und schlug Roxanne die
Pistole aus der Hand. Mit einem furchtbaren Krachen löste sich ein Schuß, der über die ganze
Lichtung hallte. In der Werkstatt war Gage gerade damit fertig geworden, den Sargdeckel über Potts'
Leiche zu schließen und zuzunageln, als das Geräusch ihn erschrocken auffahren ließ. In der nächsten
Sekunde rannte er auch schon zur Tür.
In der Hütte war William gerade aus dem Zimmer seines schlafenden Enkels getreten, als das Echo
des Schusses ihn jäh verharren ließ. Nachdem er einen entsetzten Blick mit Bess getauscht hatte,
hastete er auf den hohen Schrank neben der Tür zu, nahm ein paar Pistolen heraus und versicherte
sich, daß sie geladen waren. Ungeachtet des Schmerzes, den seine Bewegungen ihm immer noch be—
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reiteten, hetzte er auf die Veranda und verfluchte im stillen seine Unbeweglichkeit.
Beide Männer rannten jetzt auf das Schiff zu, auch wenn der eine schneller vorankam als der andere.
Während William noch immer den Pfad, der von der Hütte zum Fluß führte, hinunterlief, jagte Gage
bereits die Helling hinauf und rief verzweifelt Shemaines Namen. Er war gerade oben angekommen,
als Cain einen Arm um Roxannes Taille schlang und sie zum Bug hinaufschleppte.
»Du Narr! Was soll das?« kreischte sie. »Laß mich runter! Laß mich runter, sage ich!«
Der Bucklige warf einen Blick über die Schulter. Gage rannte bereits auf ihn zu, aber Cain hatte mehr
Kraft in seinen Armen und Beinen, als man erwartet hätte. Er schleppte sich und seine Last das
Vorschiff hinauf, obwohl die Frau zeternd um sich schlug, um sich zu befreien. Ohne Roxanne, die er
in der Armbeuge festhielt, loszulassen, sah der Bucklige noch einmal zu Gage hinüber und trat dann
ganz nah an den Abgrund. Gage begriff sofort, daß Cain, wenn er auch nur einen einzigen Schritt
weiter ging, in den Tod springen und Roxanne mit sich nehmen würde.
»Cain, setz Roxanne ab«, drängte Gage mit ruhiger Stimme.
»Nöan! Nöan!« Cain schüttelte seinen mißgestalteten Kopf und machte eine weit ausholende,
gefährliche Geste mit dem Arm, mit der er Gage bedeutete stehenzubleiben. Gage hatte keine Wahl,
als zu verharren.
Cain neigte den Kopf in einem seltsamen Winkel und blickte auf Shemaine hinab. Tränen tropften
über sein entstelltes Gesicht, das in dem sich vertiefenden Zwielicht kaum mehr zu erkennen war.
»Shamon möan Föindi.« Er berührte kurz sein Herz. »Cahn lahb Shamon.«
»Ich liebe dich auch, Cain«, antwortete Shemaine bebend voll innigem Mitgefühl. »Du warst mir ein
guter Freund und hast über mich gewacht.« Während sie die Tränen, die ihr über die Wangen rannen,
fortwischte, versuchte sie ihn umzustimmen. »Bitte, Cain, bitte, tu Roxanne nichts. Komm einfach hier
herunter, wo ihr beide in Sicherheit sein werdet.«
»Cahn moß stöbe! Cahn daide Waktoha! Cahn moß stöbe!«
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Gage hatte die ganze Zeit über Shemaine angesehen, aber nun fuhr sein Kopf jäh herum, als ihm klar
wurde, was der Bucklige da gesagt hatte.
»Nein, Cain, du
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