Wie Blueten Am Fluss
Kräfte auf und bekam sich nach und nach wieder in
den Griff. Als sie sich etwas beruhigt hatte, ging sie kurz zur Hütte hinauf und erklärte William unter vier Augen, was sich zugetragen hatte. Er versicherte ihr, daß er Andrew ins Bett bringen würde, ohne daß der Junge erfuhr, was auf dem Schiff geschehen war. Sie drückte William die Hand und zeigte
ihm mit dieser kurzen Geste ihre wachsende Zuneigung. Er selbst überraschte sie, indem er ihre Hand
festhielt und an die Lippen führte. Es wurde kein Wort gesprochen. Das war auch nicht nötig. Mit
jedem Tag, der verging, wurde deutlicher, wie sehr er sie schätzte. Noch dazu hatte sie heute zum
zweiten Mal einen Menschen getötet, um seinen Sohn zu retten.
Shemaine kehrte mit einem Eimer Seifenwasser, einem Bündel Lumpen und einer Bürste wieder auf
das Deck des Schiffs zurück. Sie hatte sich zuvor ein älteres Kleid und eine Schürze angezogen. Ihr
schauderte vor der gräßlichen Aufgabe, die vor ihr lag. Dennoch ließ sie sich unverzüglich auf Hände
und Knie nieder und begann, das Blut wegzuschrubben. Sie hatte gehofft, ein klein wenig mit ihrem
Mann allein sein und sich mit ihm über den Verkauf des Schiffes freuen zu können, aber im
Augenblick wäre sie schon dankbar gewesen, ihn nur in ihrer Nähe zu wissen und in seiner Ruhe und
Kraft Trost zu finden. Da es bald dunkel werden würde, wollte sie so bald wie möglich wieder in die
Hütte zurückkehren und die Wärme und den Schutz ihrer Familie genießen. Sie fühlte sich unwohl so
allein hier draußen. Es war fast, als beobachte sie jemand, und sie konnte nur vermuten, daß der
Schock, Potts getötet zu haben, ihr keinen Frieden ließ.
Schließlich wurde der Eindruck, daß da jemand war, so stark, daß Shemaine ihn nicht länger
ignorieren konnte. Sie hockte sich hin und sah reflexartig zum Niedergang hinüber. Augenblicklich
krampfte sich ihr Herz zusammen, denn dort stand Roxanne Corbin mit einer gespannten Pistole in der
Hand und einem hinterhältigen Lächeln im Gesicht.
»Du hast aber lange gebraucht, um zu merken, daß ich hinter dir stehe«, höhnte Roxanne.
Shemaine konnte sich nur vorstellen, daß die Frau an Bord ge—
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schlichen war, während sie sich in der Hütte aufgehalten hatte; wahrscheinlich hatte sie es während
der letzten Augenblicke genossen, zuzusehen, wie ihre Rivalin grobe Arbeiten verrichtete.
»Ich sehe, ihr hattet heute abend schon einen Besucher«, bemerkte die Frau. »Er hieß Potts, nicht
wahr? Arme Seele, er war wirklich nicht sehr geschickt bei seinen Versuchen, dich zu töten, nicht
wahr, Shemaine? Er hat es schon mal versucht, habe ich gehört... und war so unfähig, daß er sich dafür ein Loch im Bauch eingehandelt hat. Ich hätte ihm sagen können, daß Gage ein hervorragender Schütze ist, aber Potts hatte natürlich keinen Grund, mich um Rat zu fragen. Doch ich kann dir
versichern, daß mir so ein Fehler nicht unterlaufen wird.«
Shemaine erhob sich wachsam. »Was haben Sie vor?«
Roxanne schlenderte mit selbstgefälligem Lächeln auf Shemaine zu. »Bist du wirklich so naiv? Wenn
jemand eine geladene Pistole auf dich richtet, was würdest du dann normalerweise vermuten? Eine
freundliche Kaffee-Einladung?« Sie lachte boshaft auf. »Ich hab' mir nie viel daraus gemacht, mit
anderen Frauen zu tratschen. Ich habe Victoria nur deshalb besucht und sie in dem Glauben gewiegt,
ich brauche ihre Freundschaft, weil ich in Gages Nähe sein wollte. In Wirklichkeit habe ich sie
nämlich gehaßt. Von Anfang an wollte ich sie sterben sehen. Ihre Freundlichkeit und die kleinen
Gefälligkeiten, die sie mir erwies, waren mir zuwider. Ich habe mich ihr niemals in irgendeiner Weise
verpflichtet gefühlt. Sie hatte mir Gage gestohlen, und das habe ich ihr nie verziehen. In der Nacht, in der sie Andrew zur Welt brachte, habe ich gehofft, daß sie vor der Geburt sterben würde. Dann hätte ich mich nicht jedesmal an sie erinnern müssen, wenn ich diesen greinenden Winzling ansah. Ich
wollte Gage ganz für mich und haßte den Gedanken, ihn mit irgend jemandem teilen zu müssen, selbst
mit Andrew. Aber das kleine Balg gab mir nachher einen Grund, hier herauszukommen, und ich habe
jeden Augenblick genutzt, den ich bei Gage war, weil ich hoffte, er würde nachgeben und mich
heiraten.«
Roxannes Mundwinkel zogen sich vor Abscheu hinab. »Dann bist du gekommen, und mir wurde klar,
daß alles vergebens war. Er würde dich heiraten, so wie er
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