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Wie Blueten Am Fluss

Wie Blueten Am Fluss

Titel: Wie Blueten Am Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
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Gedanken daran gaben ihrem Groll so viel neue Nahrung, daß sie diesem fetten, hirnlosen Ochsen am liebsten all ihre Verachtung ins Gesicht gespuckt hätte. Aber seit ihrer Verhaftung in
    London waren schmerzliche Erfahrungen wirksame Lehrmeister gewesen. Auf brutale Weise wurde
    ihr die Tatsache eingebleut, daß kühl berechnete Fügsamkeit für einen Gefangenen überhaupt die
    einzige Möglichkeit war, vor einem englischen Gerichtshof oder auf einem ihrer Höllenschiffe zu
    überleben.
    Weil sie um keinen Preis ihre zunehmende Schwäche eingestehen durfte, setzte Shemaine alles daran,
    ihre von Fesseln behinderten Gliedmaßen mit einem Mindestmaß an Würde weiterzuschleppen. Der
    scharfe Wind schlug ihr heftig entgegen, und sie stemmte ihre nackten Füße gegen die Planken, um
    nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dann straffte sie mit zäher Entschlossenheit den Rücken. Die
    frische Luft war ein Luxus, der ihr in letzter Zeit nur allzuselten vergönnt gewesen war, und sie hob
    den Kopf, um die salzhaltige Würze der Meeresbrise tief in sich aufzunehmen.
    Potts, dem die Haltung der jungen Frau nicht entgangen war, sah sie mit schmalen Augen an. Nach
    seinem Geschmack trat sie bei weitem zu stolz und unerschrocken auf. »Wir tun mal wieder mächtig
    vornehm, wie? Die Dame kommt sich wohl vor wie eins von den feinen Dingern bei Hof.« Dann
    zeigte er mit weitausholender Gebärde auf ihre zerfetzten Kleider und plärrte mit lautstarker
    Belustigung: »Vom Bettlerhof in Whitefriars, würd' ich sagen!«
    Es fiel Shemaine wahrlich nicht schwer, sich vorzustellen, was für ein erbärmliches Bild sie mit ihren schmutzigen Lumpen und ihren Eisenfesseln abgab. Da ihr grünsamtenes Reitgewand einst die mißgünstigen Blicke vieler verhätschelter Töchter wohlhabender Aristokraten erregt hatte (derselben,
    die neidisch ihr Verlöbnis mit dem attraktivsten und wahrscheinlich reichsten Junggesellen von ganz
    London beklagt hatten), hätte ihr gegenwärtiger Zustand eben jenen Damen ein ebenso hochmütiges
    wie befriedigtes Kichern abgenötigt.
    Shemaines trostloser Seufzer war gewiß nicht gespielt. Sie, die vor ihrer Verhaftung nur ein Leben in
    Luxus und Behaglichkeit gekannt hatte, war ohne Grund in ein gräßliches Gefängnis geworfen
    worden, wo die Ärmsten der Armen nichts als Haß, Unterdrückung und abgrundtiefe Verzweiflung zu
    erwarten hatten. »Es ist in der Tat eine böse Unbequemlichkeit, wenn eine Dame von hoher Geburt
    ohne ihre Diener und ihren Schneider auf Reisen gehen muß«, erwiderte sie ironisch. »Die
    Dienstboten, mit denen ich es in jüngster Zeit zu tun hatte, verstehen wirklich nicht das mindeste von ihrer Arbeit und beherrschen nicht einmal die simpelsten Dienste eines Lakaien.«
    Potts war zwar außerstande, festzustellen, wo in ihren Worten die Beleidigung verborgen war, blieb
    aber trotzdem mißtrauisch. Ihre vornehme Ausdrucksweise konnte einem Mann ziemlich gründlich
    das Maul stopfen, vor allem einem, der in jungen Jahren von zu Hause weggelaufen war, weil seine
    verwitwete Mutter versucht hatte, seinen Streifzügen mit allerhand Raufbolden einen Riegel
    vorzuschieben.
    Plötzlich ließ er eine gewaltige Faust vorschnellen und riß Shemaine an der Kette zwischen ihren
    gefesselten Handgelenken jäh nach vorn, so daß sie nur noch das breite, bärtige Gesicht ihres Peinigers und ein rotes Zyklopenauge vor sich sah. Nach all der Not und den Härten, die sie erlitten hatte, verweigerte das Mädchen ihm immer noch das, wonach es ihn am meisten gelüstete: ein unleugbares
    Gefühl der Überlegenheit. »Du flennende irische Hündin!« fauchte er, während er ihre Ketten
    strammzog. »Du glaubst, du wärst was Besseres als ich, wie? Du und deine hochtrabende Art! Nun, du
    irrst dich, du kleines Stück irische Scheiße. Du bist nicht mal gut genug, um mir die Spucke von den
    Stiefeln zu lecken.«
    Shemaine würgte bei dem widerlichen Gestank, der aus dem Mund des Seemanns kam, und konnte
    nicht umhin, zusammenzuzucken, als die Eisenarmbänder sich brutal in ihre Handgelenke schnitten.
    Beinahe von der ersten Sekunde an, da sie Jacob Potts erblickt hatte, hatte sie eine tiefe Abneigung
    gegen den Mann empfunden. Auf Geheiß des Kapitäns war nur den vertrauenswürdigsten Mitgliedern
    der Mannschaft der Zugang zum Quartier der Frauen gestattet, aber Potts hatte dieses Verbot
    regelmäßig ignoriert. Mit der Arroganz eines Sultans, der seinen privaten Harem musterte, war er vor
    ihrer Zelle auf und

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