Wie Blueten Am Fluss
dichte Felder
rosafarbener und weißer Blütenblätter auf dem Wasser. Der Wind hatte sie von den knorrigen
Obstbäumen des Ufers abgerissen, unter denen sie dicke Teppiche auf dem Fluß bildeten. Andere
wurden von der Strömung erfaßt und mitgerissen, eine Zeitlang mutwillig hin und her geworfen, bevor
sie in die Tiefe gezogen wurden. Shemaine, die sich genauso verletzlich fühlte wie diese zarten
Blütenblätter, grübelte über die Ähnlichkeit zwischen ihrem eigenen Leben und der kurzen Flußfahrt
dieser Blätter. Gegen ihren Willen war sie über einen ganzen Ozean gesegelt und trieb jetzt einem
unbekannten Schicksal entgegen. Nur die Zeit würde offenbaren, ob sie weiter in den verhängnisvollen
Strudel von Unglück und Schmerz gerissen wurde oder ob für sie irgendwann wieder einmal die
Sonne scheinen würde.
Ein sandiger Seitenarm kam in Sicht, an dessen Ufer ein halbfertiges Schiff abgestützt auf Stapel lag.
Niemand mußte Shemaine sagen, daß dies der Platz war, wo Gage Thornton seinen Traum zu
verwirklichen trachtete. Als sie näher kamen, schien das Schiff wie ein hohes Gebäude über ihnen
aufzuragen, um einiges größer, als Shemaine es sich vorgestellt hätte. Dies würde wahrhaftig ein
Segelschiff für die hohe See werden, dachte sie voller Ehrfurcht und begriff plötzlich, wie
leidenschaftlich und wagemutig der Mann sein mußte, der dieses Schiff entworfen hatte.
Etwas höher auf dem Ufer hinter dem Schiff stand ein großes Blockhaus. Sein steiles Dach ragte in die
grauen Nebelschwaden, die dicht über die hohen Kiefern und Laubbäume im Umkreis der
Hütte hinwegzogen. Die Zweige der Bäume bogen sich mit klagendem Wimmern in den heftigen
Sturmböen.
Gage steuerte das Kanu an das seichte Ufer, sprang an Land und zog das Boot aus dem Fluß. Die
kalten Regentropfen prasselten immer noch heftig auf sie hernieder, als er Shemaine hochhob und mit
ihr zur Hütte lief. Ohne spürbare Mühe sprang er die Stufen hinauf, durchmaß mit zwei langen
Schritten die überdachte Veranda und hob den Riegel an, während er gleichzeitig die schwere Holztür
mit der Schulter aufdrückte. Sobald sie im Haus waren, schloß er die Eingangstüre mit einem
beherzten Tritt und setzte Shemaine vorsichtig ab. Dann nahm er ein Handtuch von einem Haken in
der Nähe der Tür und trocknete sich Gesicht und Arme ab, bevor er durch die geräumige Hütte ging
und mehrere Laternen entzündete.
»Ich werde die Fensterläden erst öffnen, wenn der Wind sich gelegt hat«, bemerkte Gage. Mit einer
knappen Geste lenkte er Shemaines Aufmerksamkeit auf die kleinen Fenster, die in gleichmäßigen
Abständen in das Zypressenholz der Wände eingelassen waren. Außer den unter dem überhängenden
Dach der Veranda vor und hinter dem Haus einigermaßen geschützten Fenstern waren alle anderen
durch hölzerne Läden von außen verschlossen und verriegelt. »Ich habe die Glasscheiben erst einige
Monate vor dem Tod meiner Frau eingesetzt, und das war weder einfach noch billig. Wenn sich ein
Sturm zusammenbraut, schließe ich für gewöhnlich die Läden, damit keine Fensterscheiben
eingedrückt werden.«
Der Zauber und die Behaglichkeit der Hütte hatten Shemaine sofort beeindruckt. »Wie gemütlich es
hier ist mit den Laternen.«
Die Zwischendecke wurde von einer Innenwand im Erdgeschoß gestützt, ragte aber etwas über diese
Wand hinaus; wo der Überhang zu Ende war, befand sich linker Hand ein großer steinerner Feuerplatz
mit Vorrichtungen zum Kochen. Gleich rechts neben der Feuerstelle und direkt dem Vordereingang
gegenüber führte eine Tür auf einen breiten Flur mit einem Fenster und einem Hinterausgang. Am
anderen Ende der Innenwand stand eine zweite Tür einen Spaltbreit offen und gab den Blick auf einen
säuberlich geordneten Lagerraum frei. Eine weitere Wand verlief parallel zu
84
den Seitenwänden; durch eine offene Tür darin, rechts des Eingangs, war ein geräumiges
Schlafzimmer zu sehen.
Die Einrichtung mußte, wie Shemaine sogleich sah, ein begabter Künstler geschaffen haben, denn sie
war ebenso schön und elegant wie die Möbel ihrer Eltern in England. Das bemerkenswerteste Stück
von allen war ein großer Sekretär, der neben der Tür an der Wand zum Schlafzimmer stand.
Schnitzereien in Form von Muscheln, schön geschwungene Schubläden und Türen mit Maserknollen—
Furnier verliehen ihm besondere Eleganz. Die lederbezogene Schreibfläche war aufgeklappt, so daß
man die vielen
Weitere Kostenlose Bücher