Wie Blueten Am Fluss
Schwach fügte sie hinzu:
»Die L-Leute werden hersehen, Mr. Thornton.«
Gage tat ihre Sorge mit einem verächtlichen Lachen ab und überzeugte sich mit einem schnellen Blick
über die Schulter davon, daß Alma Pettycomb tatsächlich genau das tat, obwohl ihr das mittlerweile
welke Häubchen schlaff in die Stirn fiel. »Wenn irgendein dummes altes Klatschweib im Regen stehen
und uns angaffen will, dann nur zu!« grummelte er. »Was mich betrifft, ich habe die Absicht, sobald
wie möglich nach Hause zu kommen. Und ich kann nicht hier rumstehen und warten, daß du dich
daran gewöhnst, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.«
Gage lief mit langen Schritten über die Hauptstraße des Weilers und zwang Shemaine auf diese Weise,
ihm die Arme um den Hals zu schlingen und sich auf Gedeih und Verderb an ihm festzuhalten. Sie
kamen weit schneller voran, als es ihr lieb war, und sie konnte nur ahnen, was ihr zustoßen würde,
wenn er in dem Schlamm ausrutschte und sie durch die Luft flog. Im Vergleich dazu würden die
Verletzungen, die sie Potts zu verdanken hatte, wahrscheinlich unbedeutend erscheinen.
Meine neue Dienstbotin stellt wirklich keine schwere Last dar, ging es Gage Thornton durch den
Kopf, als er auf das Flußufer zueilte, denn sie lag ihm so leicht wie Distelwolle in den Armen. Ihm fiel auch auf, wie weich und fraulich sie sich mit ihren Armen um seinen Hals klammerte. Er kam sich allerdings vor wie ein Abstinenzler, den der berauschende Druck ihres wohlgerundeten Busens auf
seiner Brust trunken machte. Das Vergnügen dieser Erfahrung
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warf die Frage auf, ob er als Witwer schon vergessen hatte, wie herrlich es war, eine junge, schöne
Frau in den Armen zu halten.
Gage erreichte nun eine Reihe von Bäumen, die am Flußufer einen schützenden Baldachin über ihren
Köpfen bildeten. Dort blieb er stehen und setzte seine Arbeiterin ab. Dann zog er ein Kanu zwischen
den Büschen hervor, schob es ins Wasser und bedeutete Shemaine schweigend, sich am anderen Ende
hineinzusetzen. Das schmale Boot war für ihren Geschmack bei weitem zu leicht, und obwohl sie dem
Befehl ihres Herrn gehorchte, nahm sie doch nur widerstrebend den ihr zugewiesenen Platz ein.
Ängstlich ließ sie den Blick über den breiten Fluß schweifen und schauderte.
Gage, der am anderen Ende des Bootes saß, stieß das Kanu mit dem Paddel vom Ufer ab. Die
Strömung ergriff das kleine Boot, das sogleich leicht zu schaukeln begann, und Shemaines Herzschlag
setzte vor Angst einen Moment lang aus. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, wäre es der reinste
Hohn, wenn sie jetzt ertrinken würde, nachdem sie erst vor wenigen Augenblicken der London Pride
entronnen war.
Gage warf ihr ein kleines Stück Öltuch zu. »Das müßte dich eigentlich warmhalten.«
Dankbar für diesen Schutz vor dem Regen und dem Anblick der Wasserwüste ringsherum, zog sich
Shemaine die Plane über den Kopf und kauerte sich darunter zusammen. Trotz der Regentropfen, die
ihr ins Gesicht klatschten, hielt sie angestrengt nach Zeichen menschlicher Behausungen an den
Flußufern Ausschau. Direkt hinter dem Weiler schien sich das Land flach und eben hinzuziehen,
grasbestandenes Marschland, das von Wasservögeln und Amphibien bewohnt werden mochte. An
manchen Stellen aber war das Unterholz so dicht, daß es wohl nur für die kleinsten Tiere zu
durchdringen war. Die Schönheit der Wildnis berührte Shemaine sofort, obwohl sie sie auch ein wenig
beängstigte. Sie hatte weder die geringste Vorstellung, was sie von diesem unkultivierten Land zu
erwarten hatte, noch ob sie in der Lage sein würde, hier zu überleben.
Gelegentlich sah sie durch den dichten Regen eine Hütte, die mit einigen Nebengebäuden zwischen
den Bäumen stand, und hier und
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da war zu erkennen, daß neue Quartiere gebaut wurden. Auf einer größeren Lichtung war der Bau
eines Hauses im Gange, das bei weitem prächtiger war als die übrigen, und Shemaine staunte über den
Mut dieser Menschen, die so weit entfernt von aller Zivilisation ohne jede Sicherheit ein solches
Wagnis eingingen.
In ruhiger Regelmäßigkeit tauchte Gage das hölzerne Paddel einmal auf der einen, dann wieder auf der
anderen Seite des Bootes in das von Regen aufgepeitschte Wasser und ließ das Kanu mühelos durch
die lebhafte Strömung gleiten. Dann hielt er sich dicht am Flußufer, wo hohe, breitgefächerte Zweige
ihnen ein wenig Schutz vor dem Unwetter boten. Weiter flußabwärts trieben
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