Wie Blueten Am Fluss
stehengeblieben war, zeigte auf den kleinen Küchenschrank beim Kamin. »Da
drin findest du Brot und Käse, falls du vor meiner Rückkehr Hunger bekommst. Hannah packt mir für
gewöhnlich etwas zu essen ein, wenn sie weiß, daß Andrew und ich allein sind. Heute abend
zumindest wirst du nicht hungrig zu Bett gehen müssen. Für morgen kann ich dir aber keine Garantien
geben.«
Dann öffnete er die schwere Tür, trat hinaus auf die Veranda, sah sich schnell nach beiden Seiten hin
um und zog schließlich die Tür hinter sich zu. Die Bodenbretter knirschten leise, als er die Treppe
hinunterstieg. Als er fort war, genoß Shemaine die Stille in der Hütte. Dann legte sie mit einem tiefen Seufzer den schweren Riegel vor die Tür und verspürte zum ersten Mal seit vielen Monaten so etwas wie Hoffnung für die Zukunft.
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4. Kapitel
Eine ausgiebige Haarwäsche und ein warmes, in Muße genossenes Bad belebten auf wundersame
Weise Shemaines Lebensgeister, die in den zurückliegenden Monaten so Schreckliches hatten
durchmachen müssen. Erstaunt nahm sie an sich selbst die grundlegende Veränderung zur Kenntnis,
als sie ein schon reichlich abgetragenes Hemdchen aus der Kleidertruhe der verstorbenen Frau des
Hauses überstreifte. Früher einmal hätte sie das Untergewand keines zweiten Blickes gewürdigt. Sie
hätte es als zu schäbig aussortiert und höchstens noch als Staubtuch oder Putzlumpen für tauglich
befunden. Doch wenn man erst mal mehrere Monate tagein, tagaus dasselbe Kleid getragen hatte, bis
es nur noch ein Lumpen war, empfand man schließlich große Dankbarkeit für jedes Kleidungsstück,
das sauber und einigermaßen heil war. Obwohl sich in der Truhe hübschere Kleider befanden, ja,
sogar eines mit Spitzenbesatz, das offensichtlich das beste Kleid der Frau gewesen war, wollte
Shemaine doch die Großzügigkeit ihres neuen Herrn nicht überstrapazieren. Angesichts ihrer
zukünftigen Bedürfnisse hatte sie ein zweites Hemdchen herausgelegt sowie ein grünes Gewand und
ein hellblaues, ferner zwei lange, weiße Schürzen und ein paar schwarze Schuhe, die allesamt in der
Vergangenheit reichlich getragen worden waren.
Sobald Shemaine gebadet und sich das Haar gewaschen hatte, verspürte sie einen starken Drang, Gage
Thornton ihre Dankbarkeit dafür zu beweisen, daß er sie gekauft hatte. Das ließ sich wohl am besten
bewerkstelligen, indem sie sich sogleich als wagemutige Köchin und tüchtige Dienerin zeigte. Nun
gut, es würde einige Zeit dauern, bevor sie ihre Kraft und ihre Energie wiedergefunden hatte, aber sie würde die Mühe nicht scheuen. Sie schlang sich ein Handtuch um ihr feuchtes Haar und machte sich, nur mit dem Hemdchen bekleidet, daran, ihre Fähigkeit bei der Zubereitung einer schmackhaften
Mahlzeit zu erproben.
Es waren einige Jahre vergangen, seit Bess Huxley, die Köchin ihrer Familie, versucht hatte, ihr
Interesse an kulinarischen Unternehmungen zu wecken und ihr die grundlegenden, für einen Erfolg
auf diesem Gebiet unerläßlichen Techniken beizubringen. Damals hatte Shemaine die einzelnen
Handgriffe nur murrend wieder und wieder getan, bis sie sie zur vollkommenen Zufriedenheit der
Köchin beherrscht hatte. Aber wie sehr hatte sie es doch gehaßt, endlos Soßen zu rühren, damit sie
nicht anbrannten, oder Eiweiß zu schlagen, bis man es mit dem Messer schneiden konnte. Damals war
sie der Meinung gewesen, Bess' Unterweisungen seien nichts als verschwendete Zeit und Mühe, denn
sie hatte sich nicht vorstellen können, einen Mann zu heiraten, der nicht über ausreichende Mittel
verfügte, um ihr ein Haus voller Diener zu bieten.
Soviel zu meinen Erwartungen, verspottete Shemaine sich im Geiste. Bess hatte sie gewarnt, nicht
allzu hochmütig zu sein, denn ein junges Mädchen könne nie wissen, welcher Mann einmal um ihre
Hand anhalten werde oder, was das betraf, welchem Mann sie ihr Herz schenken würde falls sie das Glück hatte, in dieser Angelegenheit überhaupt wählen zu dürfen. Obwohl die Köchin sie weiß Gott hart rangenommen hatte, war Shemaine sich ziemlich sicher, daß sie inzwischen einen großen Teil des
damals Gelernten vergessen hatte. Aber nun mußte sie zeigen, was sie konnte, und sich, wenn irgend
möglich, an alles erinnern, was Bess Huxley ihr mit solcher Mühe einzutrichtern versucht hatte.
Shemaine machte sich daran, Waffeln zu backen. Während der einsamen Tage im Kabelgatt hatte sie
oft sehnsüchtig an die entspannten
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