Wie Blueten Am Fluss
bin ich gleich wieder da«, erwiderte Gage
beschwingt und lief in sein Schlafzimmer. Das einzige, was seine absolute Zufriedenheit mit seiner
Vertragsarbeiterin bisher beeinträchtigt hatte, war seine Sorge, daß sie nicht kochen konnte. Obwohl er sich alle Mühe gegeben hatte, nicht darüber nachzudenken, waren in den vergangenen Stunden doch immer wieder Befürchtungen in ihm wach geworden, wie seine kleine Familie mit schlecht
zubereiteten Mahlzeiten wohl zurechtkommen würde. Es war eine gewaltige Er—
98
99
leichterung, festzustellen, daß das Mädchen bei weitem mehr von der Sache verstand, als es zuerst
hatte durchblicken lassen. Wenn es in der Küche etwas zuwege brachte, das so unwiderstehlich
duftete, daß ihm das Wasser im Munde zusammenlief, dann durfte man wohl hoffen, daß sie noch
einiges mehr zustandebringen würde.
»Papa!« kreischte Andrew plötzlich voller Panik, weil er bemerkt hatte, daß sein Vater fortgegangen
war. Er warf Shemaine aus weit aufgerissenen Augen einen erschreckten Blick zu und rannte vor
Angst schreiend ins Schlafzimmer.
Lächelnd hörte Shemaine zu, wie Gage seinen schluchzenden Sohn beruhigte.
»Es ist schon gut, Andy. Shemaine wird jetzt bei uns wohnen und auf dich aufpassen, während Papa
Truhen und Tische baut...«
»Und großes Schiff auch, Papa?« fragte der Junge mit immer noch tränenerstickter Stimme.
»Und auch das große Schiff, Andy.«
Shemaine stellte die Teekanne auf den Tisch und holte dann Tasse und Untertasse, zwei kleine Teller,
Besteck und Obstkonserven herbei, die sie im Schrank gefunden hatte. Einen Augenblick später kam
Gage mit seinem Sohn auf dem Arm aus dem Schlafzimmer. Er trug jetzt eine dunkelbraune
Wildlederhose und ein wollenes Hemd mit weiten Ärmeln. Vor ihrer Verhaftung hätte Shemaine einen
von Kopf bis Fuß elegant gewandeten Mann bei weitem vorgezogen. Maurice hatte sich stets
vorbildlich gekleidet und in Gehröcken aus schwarzer Seide und passenden Westen und Kniehosen
atemberaubend gut ausgesehen. Aber wenn ihr neuer Herr ihr jetzt in seiner so groben Kleidung den
Atem stocken ließ, mußte Shemaine sich fragen, wie sie sich jemals wieder von fürstlich gewandeten
Lords in Seidenstrümpfen würde hinreißen lassen.
Gage setzte den Jungen in den Hochstuhl am Ende des Tisches, band ihm ein Lätzchen um den Hals
und nahm dann seinerseits auf der Bank links neben Andrew Platz. Shemaine beugte sich über den
Tisch, um den Teller mit Waffeln in die Mitte zu stellen. Gage blickte auf, um ihr zu danken, und im
Lichtschein der von der Decke hängenden Laterne sah er zum ersten Mal seit seiner Rückkehr
Shemaines Gesicht.
100
Wenn es irgend etwas gab, das seine rätselhafte Zurückhaltung durchbrechen konnte, dann war es
gewiß, so vermutete Shemaine, die Veränderung ihres Aussehens. Als sie einander an Bord der
London Pride das erste Mal angesehen hatten, hatte die Kraft dieser leuchtendbraunen Augen sie zutiefst überrascht, aber die langsame, durchdringende Musterung, deren er sie jetzt unterzog, war etwas ganz anderes; es schien, als sehe er sie zum ersten Mal als Frau und nicht als Besitz. Shemaine
hielt beklommen den Atem an und überlegte gleichzeitig, ob er wohl seine Freundlichkeit ihr
gegenüber bedauern würde, wenn er sie nun in Victorias Kleidern sah.
»Du siehst anders aus...«, murmelte Gage zu guter Letzt. »Sehr nett, um genau zu sein.« Wahrhaftig!
Bei weitem zu schön für einen Mann, der ein ganzes Jahr ohne Frau gewesen ist, dachte er und senkte den Blick, um sich mit größter Entschlossenheit den Waffeln zu widmen. Beinahe mechanisch griff er nach der ersten, riß sie entzwei und strich für seinen Sohn auf eine der beiden Hälften etwas von dem
eingelegten Obst.
»Soll ich Andrew auch ein wenig Tee einschenken?« fragte Shemaine unsicher, da sie es immer noch
nicht vermochte, seine Stimmung zu deuten, denn er schien ihr nun eher noch distanzierter als zuvor.
Gage, der die Torheit, in ihre Richtung zu schauen, kein zweites Mal begehen wollte, erhob sich vom
Tisch. Es war eine schmerzliche Wahrheit, daß Abstinenz die Sinne eines Mannes qualvoll zu schärfen
vermochte, wenn sich eine liebreizende, junge Frau in seiner Nähe befand. »Ich habe etwas Milch im
Brunnen kühlgestellt«, antwortete er schließlich. »Wenn du willst, zeige ich dir, wo sie aufbewahrt
wird.«
»Soll ich die Plane holen?« fragte sie, da sie nicht noch einmal bis auf die Haut naß werden wollte.
»Nein,
Weitere Kostenlose Bücher