Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
erzählte – und Fotos mitschickte –, schickte Miss Baill sie ungeöffnet zurück. Sie schrieb ihrer Tochter nicht und rief sie auch nicht an. Während ihrer gesamten Haft unternahm sie nicht einen einzigen Versuch, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Cassandra Wojocheski, eine frühere Zellengenossin, wird bezeugen, dass Miss Baill ihr offen erklärte, sie habe nicht die Absicht, jemals ihre Tochter zu sehen.
Es überrascht kaum, dass Miss Baill keinerlei Mutterinstinkt hat. Denn ihre eigene Mutter war straffällig und drogensüchtig. Soweit wir wissen, hat Miss Baill ebenfalls ein Drogenproblem.
Daher verlangen wir abschließend, dass die bisherige Sorgerechtsregelung bestehen bleibt. Miss Baill ist nicht in der Lage, ein Kind zu erziehen, und seit sie freiwillig das Sorgerecht für ihre Tochter aufgab, hat sich ihre Situation nicht entscheidend geändert.« Bill nickte noch einmal und setzte sich.
Der Richter klopfte mit einem Stift auf seinen Tisch.
Lexi bekam vor lauter Aufregung kaum Luft. Bills Ausführungen waren wie Gift in ihren Kreislauf getropft. Sie spürte, wie es in ihren Adern brannte.
»In diesem Fall sind alle Voraussetzungen für einen Prozess gegeben«, sagte der Richter. Er klappte einen Laptop auf, tippte etwas und blickte auf den Bildschirm. »Er wird für den 19. April 2011 angesetzt. Sind die Parteien einverstanden?«
Beide Anwälte nickten.
»In einem Jahr?«, flüsterte Lexi. »Das geht doch nicht …«
»Psst«, zischte Scot scharf.
Der Richter fuhr fort: »Bis dahin sollen die erforderlichen Schritte für eine Wiederzusammenführung eingeleitet werden. Ich benenne einen Vormund, der die Sachlage und die Interessen der einzelnen Parteien prüft und die Ergebnisse dem Gericht vorlegt.« Er blätterte in einer Akte. »Ich benenne Helen Adams, lasse es die Parteien aber wissen, falls sie keine Zeit hat. Und jetzt zur Übergangsregelung. Mr Jacobs?«
Scot erhob sich wieder. »Miss Baill ersucht darum, sofort mit ihrer Tochter zusammengeführt zu werden, und bittet um eine vorübergehende Regelung zum geteilten Sorgerecht.«
Bill stand auf. »Das ist einfach lächerlich. Miss Baill hat keine Arbeit, kein Geld und keine Unterkunft. Wie sollte sie da für ein minderjähriges Kind sorgen können? Außerdem hat Miss Baill keinerlei Erfahrungen, ein Kind aufzuziehen. Wie ich schon früher ausführte, war ihre eigene Mutter drogensüchtig und vernachlässigte sie, daher hat Miss Baill keinerlei positives Vorbild, an dem sie sich orientieren kann. Vielleicht wäre sie nach ein paar Erziehungskursen in der Lage, in begrenztem Umfang Verantwortung zu übernehmen, aber jetzt nicht. Außerdem sollten wir Miss Baills Führung in Haft nicht außer Acht lassen – 2005 kam sie wegen Drogenmissbrauch und aggressivem Verhalten in Einzelhaft –, genauso wenig wie das Fluchtrisiko. Ihre eigene Familie lebt in Florida. Wer sagt uns, dass sie nicht versuchen wird, Grace dorthin mitzunehmen? Schließlich hat sie schon gezeigt, dass sie die Gesetze missachtet. Daher verlangen wir, dass es bis zum Prozess im nächsten Jahr keinerlei Besuchsrecht und keinerlei Versuch geben soll, sie mit ihrer Tochter zusammenzuführen. Damit bekommt Miss Baill auch die Zeit zu zeigen, ob es ihr mit ihrem Antrag wirklich ernst ist.«
»Euer Ehren!«, rief Scot und stand auf. »Das ist unzumutbar! Miss Baill hat kein Drogenproblem. Es ist …«
Der Richter hob die Hand. »Ich werde Treffen zwischen Ihrer Mandantin und deren Tochter erlauben, allerdings unter Aufsicht. Wegen der schwierigen Situation und der langen Trennung wird ein für solche Fälle ausgebildeter Betreuer bei jedem Treffen anwesend sein, es sei denn, ein Verwandter des Kindes ist dabei. Bis zum Prozess bekommt das Gericht regelmäßig Berichte vom offiziell bestellten Vormund.« Er schlug mit dem Hammer auf den Tisch. »Nächster Fall.«
Lexi hatte das Gefühl, als würde der Schlag des Richterhammers in ihrem Rückgrat vibrieren. Sie wandte sich zu Scot und versuchte, ihm zuliebe zu lächeln. Er hatte sich solche Mühe gegeben. Sie wollte ihm nicht zeigen, wie sehr die Worte Treffen unter Aufsicht sie aufgewühlt hatten. Das hatte sie schon erlebt, sie hatte unter dem wachsamen Blick einer gleichgültigen Betreuerin dagesessen; nur war sie damals das kleine Mädchen gewesen. Jetzt war sie die Mutter, der nicht vertraut werden konnte. »Wichtig ist nur, dass ich Zeit mit ihr verbringen darf, stimmt’s?«
Scot nahm sie am Arm und führte sie durch die
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