Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
Seitentür aus dem Saal. Auf dem Gang ging er mit ihr in eine stille Ecke. »Es tut mir leid, Lexi.«
»Das muss es nicht. Ich weiß, Sie haben Ihr Bestes gegeben. Und ich werde sie sehen. Sie kennenlernen. Ich werde allen beweisen, dass ich eine zweite Chance verdiene. Ein Jahr ist lang. Bis dahin kann ich vielleicht …«
»So einfach ist das nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Das Gericht verlangt einen Sozialarbeiter für Ihre Treffen, der für schwierige Zusammenführungen ausgebildet ist.«
»Das hab ich gehört.«
»Solche Spezialisten sind sehr teuer.«
Bitterkeit stieg in Lexi auf und hinterließ einen üblen Geschmack in ihrem Mund. »Natürlich läuft es wieder auf Geld hinaus.«
»Ich werde das prüfen. Es muss eine Lösung dafür geben, aber im Moment fällt mir nur ein, dass Sie einen der Farradays bitten müssen, dabei zu sein.«
»Ach. Na, das wird ja wohl kein Problem sein.«
»Geben Sie nicht auf, Lexi. Ich bleib dran.«
»Klar.« Sie schlang sich ihre Handtasche über die Schulter. Plötzlich wollte sie unbedingt ihre lächerliche Kleinmädchenkluft loswerden. Sie hätte es besser wissen müssen. Das ganze Rechtssystem war darauf ausgerichtet, Leuten wie den Farradays das zu geben, was sie wollten. »Ich hau ab, Scot. Danke.« Sie setzte sich in Bewegung.
Er hielt sie am Arm fest. »Machen Sie keine Dummheiten, Lexi.«
»Was denn zum Beispiel? Meine Tochter lieben?« Da ihr die Stimme brach, wandte sie sich ab und eilte davon.
V IERUNDZWANZIG
Vor Scots Kanzlei setzte sich Lexi auf eine Parkbank.
Sie wusste, wie es war aufzugeben. Damals, als ihre Mutter sie vernachlässigt hatte, und später, wenn eine Pflegefamilie nach der nächsten sie zurückgab, hatte sie versucht, alle Hoffnung aufzugeben. Als sie als junges Mädchen ständig in engen, vollgestopften Amtsräumen gesessen und auf neue Eltern gewartet hatte, hatte sie auf die Uhr an der Wand gestarrt, zugesehen, wie die Minuten verstrichen, und bei jedem leisen Tick gedacht, dieses Mal würde es ihr nichts ausmachen, dieses Mal würde sie sich keine Hoffnungen machen, dieses Mal würde sie sich nicht verletzen lassen.
Aber sie hatte es nie geschafft. Aus irgendeinem Grund, den sie nie verstanden hatte, konnte sie die Hoffnung einfach nicht aufgeben. Selbst als sie im Gefängnis in einer Reihe mit Frauen stand, die nur noch ausdruckslos, hoffnungslos vor sich hin starrten, war sie dazu nicht in der Lage gewesen. Nicht mal mit Valium. Das Problem war, dass sie an etwas glaubte. Was genau, wusste sie nicht – an Gott, an das Gute, an sich selbst? Darauf hatte sie keine Antwort. Sie wusste nur, dass sie den festen Glauben hegte, wenn sie das Richtige tat, immer ihr Bestes gab, Verantwortung für ihre Fehler übernahm und ein anständiges Leben führte, dann würde irgendwann alles gut werden. Sie würde nicht wie ihre Mutter enden.
Aber sie hatte all das getan. Sie war ins Gefängnis gegangen, um für ihren Fehler zu büßen. Sie hatte ihre Tochter aufgegeben, weil sie Grace so sehr liebte. Sie hatte versucht, das Richtige zu tun, und es wurde immer noch nicht gut.
Sie hatte das Recht, Grace zu sehen, aber nicht das Geld.
Wie sollte sie ein ganzes Jahr in dieser Gemeinde leben und ihre Tochter sehen, aber nie wirklich mit ihr zusammen sein können? Wie sollte sie einen Job finden – als Vorbestrafte ohne Berufserfahrung und Empfehlungen –, mit dem sie Miete und Unterhalt und zusätzlich noch die Anwaltskosten und das Honorar des Sozialarbeiters bezahlen konnte? Und falls sie all das doch irgendwie schaffte, wie sollte sie es ertragen, die Wochenenden unter der ständigen Aufsicht und Beurteilung eines Dritten mit ihrer Tochter zu verbringen? Wie sollte da eine echte Beziehung entstehen?
Es wäre leichter aufzugeben. Sie konnte in einen Bus nach Florida steigen, wo offenbar immer die Sonne schien. Von dort aus konnte sie Grace schreiben – das konnte ihr niemand verbieten –, und sie und ihre Tochter würden sich eben auf die altmodische Art kennenlernen. Vielleicht kam es in ein paar Jahren sogar zu einem Besuch.
Sie musste nur aufgeben. Ihre Niederlage eingestehen und in den nächsten Bus steigen.
Und ihre Tochter ein zweites Mal alleinlassen.
Allein der Gedanke verursachte ihr Übelkeit. Sie erinnerte sich an die langen Stunden in Einzelhaft, als sie in der stinkenden Dunkelheit zu schwinden meinte und hoffte, sich einfach aufzulösen. Grace hatte sie da herausgeholt, Grace hatte Lexi dazu gebracht, sich nicht mehr
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