Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
aber nicht, und wenn dein Dad ihr sagte, sie sollte den Mund halten, lachte sie nur und sang noch lauter.« Als Lexi über Mia sprach, spürte sie, wie sich etwas in ihr öffnete. Diese Erinnerungen waren so lange in ihr gefangen gewesen wie ein Insekt in Bernstein, aber jetzt kamen sie heraus. Sie blickte zu Jude hinüber. »Ich habe Mia den grünen Pulli an der Garderobe geschenkt. Er kostete so viel, wie ich in einem ganzen Monat verdient habe, aber als ich ihn sah, wusste ich, er würde perfekt zu ihren Augen passen. Außerdem wollte ich ihr zeigen, wie viel mir ihre Freundschaft bedeutete.«
»Daddy redet nie über sie.«
»Ja«, sagte Lexi und sah wieder hinunter zu ihrer Tochter. »Das ist wohl leichter für ihn. Wenn man jemanden liebt … und ihn verliert, ist es ein bisschen, als würde man sich selbst verlieren. Aber dein Daddy hatte die ganze Zeit dich. Dich konnte er lieben. Das möchte ich auch.«
»Was meinst du damit?«
»Was würdest du davon halten, manchmal bei mir zu wohnen? Wir könnten uns kennenlernen, und ich könnte …«
»Ich wusste es«, sagte Grace und kletterte von der Couch. »Ich werde meinen Daddy nicht alleinlassen.«
»So habe ich das nicht gemeint, Grace.«
»Doch. Du hast es gesagt.« Sie rannte zu Judes Platz, kletterte ihr auf den Schoß und klammerte sich wie ein kleines Äffchen an sie.
Lexi folgte ihr und kniete sich vor Jude auf den Fußboden. »Es tut mir leid, Grace, ich …«
Grace drehte sich herum, um Lexi anzusehen. »Du wolltest mich nicht.«
»Doch«, sagte Lexi.
»Warum bist du dann weggegangen?«
Was sollte sie darauf antworten? Wie sie so vor ihrer verängstigten Tochter kniete, fühlte sie sich plötzlich wieder selbst wie als Kind: verwirrt über eine Mutter, die sie nicht wollte, aber manchmal so tat. Bei der Erinnerung wurde ihr übel. Sie fühlte sich selbstsüchtig und erbärmlich. »Ich habe dich immer geliebt, Gracie.«
Grace reckte ihr spitzes Kinn. »Das glaube ich nicht. Liebe Mommys gehen nicht weg.«
Lexi wusste noch, dass sie genau dasselbe zu ihrer eigenen Mutter gesagt hatte. Diese war in Tränen ausgebrochen und hatte geschworen, ihre Liebe sei echt.
Aber Lexi wusste besser als jeder andere, dass nur die Zeit zeigen würde, ob ihre Liebe echt war. Grace würde erfahren müssen, dass ihre Mutter sie liebte.
»Ich will bei meinem Daddy bleiben«, beharrte Grace stur.
»Natürlich«, erwiderte Lexi. »Es war falsch von mir, etwas anderes anzudeuten. Ich war nur … eine lange Zeit weg und weiß nicht viel über kleine Mädchen. Aber ich möchte es lernen.«
»Du bist doch eine Mommy. Du solltest es schon wissen«, meinte Grace und klammerte sich an Judes Ärmel.
Was sollte Lexi dazu sagen? Langsam stand sie auf und sah auf die beiden hinunter. »Vielleicht sollte ich jetzt gehen. Danke, Jude«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. »Ich weiß, du hast es nicht für mich getan, aber ich danke dir trotzdem.«
»Gehst du jetzt schon wieder ?«, fragte Grace.
»Ja, aber ich komme wieder«, versprach Lexi und wich zurück. In nur zehn Minuten mit ihrer Tochter hatte sie alles falsch gemacht. Sie hatte Gracie Angst eingejagt. »Nächste Woche, einverstanden? Zur selben Zeit?«
»Du hast was auf der Couch vergessen«, bemerkte Jude.
Lexi blickte zu ihren Briefen zurück. Aus der Ferne wirkten sie in diesem perfekten Raum mickrig und schäbig. Wie dumm von ihr zu glauben, dass eine Fünfjährige sich über Briefe freute. Ein weiterer Fehler. »Sie sind für Grace«, brachte sie hervor, und dann ging sie wieder.
»Sie weiß nicht mal, dass ich nicht lesen kann«, sagte Grace schwer enttäuscht. Sie löste sich aus Judes Griff und stand auf. »Wann holt mich Daddy ab?«
Jude konnte ihren Blick nicht von der alten Schuhschachtel auf der Couch lösen. Auf dem teuren Sofa wirkte sie absurd klein und fehl am Platz.
»Nana?« Grace stampfte nachdrücklich mit dem Fuß auf. »Ich will nach Hause.«
Jude blickte auf und sah, dass Grace mit rebellischer Miene am Kamin stand. Ihre Enkelin hatte Angst, deshalb wurde sie trotzig, genau wie Zach in ihrem Alter. »Ist gut. Aber ich weiß nicht, wann dein Daddy nach Hause kommt.«
»Ist mir egal«, sagte Grace, aber ihre zitternde Stimme verriet sie.
»Soll ich dich mal in den Arm nehmen?«
»Ich will nur meinen Daddy.«
Jude seufzte. Es war keine große Überraschung, dass Grace sich nicht von einer Großmutter trösten lassen wollte, die sie jahrelang kaum angeschaut hatte. »Pack deine
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