Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
versuchte, sich genau einzuprägen, wie sich diese Umarmung anfühlte. »Ich hab dich lieb, Grace«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Vergiss das nie, ja?« Als sie Grace leise hicksen hörte, verlor sie die Fassung. Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, und dieses Mal hielt sie sie nicht zurück.
»Wein doch nicht, Mommy.«
Lexi wischte sich über die Augen und rückte gerade so weit von Grace ab, dass sie ihr in die Augen sehen konnte. »Manchmal ist Weinen gut. Ich habe lange gewartet, so weinen zu können. Wenn du mir Bilder schickst, die du in der Schule gemalt hast, hänge ich sie mir an den Kühlschrank.« Lexi beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf den kleinen Kirschmund. »Und ich werde lernen, Cupcakes zu backen.«
»Ist gut«, sagte Grace. Jetzt wirkte sie wieder traurig, unsicher und verwirrt.
Lexi wusste nicht, wie sie sie trösten sollte, ohne ihr etwas zu versprechen, was sie nicht einhalten konnte. Manchmal endete etwas nicht so, wie man es sich erträumte. Sie konnte jetzt nur für ein paar schöne Erinnerungen sorgen, sich verabschieden und auf eine bessere Zukunft hoffen. Sie würde so schnell wie möglich genug Geld sparen, um zurückkommen und mit ihrer Tochter zusammenleben zu können.
Jetzt küsste sie Grace ein letztes Mal, dann löste sie sich von ihr, stieg aus dem Bett und blickte zu ihr hinunter.
Grace flüsterte wie wild auf ihren Handspiegel ein und versuchte, nicht zu weinen.
»Wein doch nicht, Gracie. Es wird alles gut.« Lexi strich ihr übers Haar.
»Das sagt sie auch.«
Lexi schaffte es, sich ein Lächeln abzuringen. »Du hast Glück, eine so gute Freundin zu haben, aber ich schlage dir etwas vor: Wenn du es schaffst, in deiner Klasse eine echte Freundin zu finden, dann schicke ich dir zur Abschlussparty im September Cupcakes.«
Grace wischte sich über die Augen und sah Lexi an. »Wie denn?«
»Was: wie denn?«
»Wie soll ich denn eine Freundin finden? Mich kann doch niemand leiden.«
Lexi setzte sich wieder. »Tja, du wirst wohl aufhören müssen, zu lügen und um dich zu schlagen. Wenn du Freunde finden willst, musst du auch freundlich sein. Wer ist das netteste Mädchen in deiner Klasse?«
»Samantha. Aber sie redet nie mit mir.«
»Okay. Dann gehst du morgen einfach zu Samantha und sagst was Nettes zu ihr. Aber du darfst nicht lügen oder mogeln. Sag ihr einfach, du würdest gerne mit ihr spielen.«
»Und wenn ich das nicht kann?«
»Das kannst du«, versprach Lexi. »Ich hatte auch mal eine beste Freundin, der konnte ich alles erzählen. Sie hat mich immer zum Lachen gebracht. Wenn sie da war, hab ich mich nie allein gefühlt.«
Sie umarmte ihre Tochter ein letztes Mal und zwang sich dann, zur Tür zu gehen, vorbei an Jane Eyre , das sie ein letztes Mal berührte (es hatte nichts zu bedeuten, dass er es aufbewahrt hatte; sie durfte sich keine Hoffnungen machen). Im Flur blieb sie stehen und blickte zurück ins Zimmer.
Grace hockte auf dem Bett und sah unglaublich klein und traurig aus.
»Ich hab dich lieb, Gracie.«
»Bye, Mommy«, schniefte Grace.
»Grüß deinen Daddy von mir.« Dann drückte sie die Tür zu.
Sie hätte so schnell wie möglich das Haus verlassen sollen. Das hätte sie auch, wäre ihr Blick nicht auf Mias Zimmertür am Ende des Flurs gefallen. Fast automatisch ging sie darauf zu und öffnete sie.
Wie immer hieß das Zimmer sie willkommen und lud sie ein. Sie ging zur Kommode, wo Mias Handy neben einer mit einer Eins benoteten Englischarbeit lag. Auf dem Fensterbrett standen ein paar Plastikpferde. Es gab auch ein Dutzend Fotos von Mia: bei der Probe, beim Tanzunterricht, am Strand mit Zach. Aber von ihr und Mia war kein Bild zu sehen, obwohl es hier früher Dutzende davon gegeben hatte.
»Ich war schon eine ganze Weile nicht mehr hier … eine Ewigkeit«, sagte Jude, die plötzlich hinter ihr aufgetaucht war.
Lexi wirbelte mit glühenden Wangen herum. »Tut mir leid. Das hätte ich nicht tun sollen …«
Jude griff nach dem Stoffhündchen auf dem Nachttisch. »Früher hab ich hier geschlafen. Aber weil Miles und meine Therapeutin sich Sorgen machten, hab ich das Zimmer abgeschlossen. Erica macht zwar noch sauber, aber ich komme nicht mehr her.«
»Ich kann sie hier spüren«, sagte Lexi leise.
»Wirklich? Da hast du Glück.«
Lexi trat näher zu ihr. »Sie liebte dieses Zimmer, aber den Spiegel hasste sie. Sie sagte immer, der sähe aus wie ein Kunstprojekt. Aber sie wusste, wie sehr du ihn mochtest.«
Jude setzte sich
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