Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
das Malen. Für sie hatten nur noch die Künstler gezählt, die sie entdeckte, und ihre Werke. Das war ein sinnentleertes Dasein. Das eigentliche Problem jedoch war, dass ihre Mutter sich niemals zurückziehen würde, und die Vorstellung, mit ihr zusammenzuarbeiten, war einfach grauenhaft. Seit über dreißig Jahren hatten sie kein ernstzunehmendes Gespräch mehr geführt. »Ich glaube nicht.«
Caroline stellte ihr Weinglas ab. »Darf ich fragen, warum nicht?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir gut zusammenarbeiten könnten. Ich glaube auch nicht, dass du dich wirklich zurückziehen würdest, Mutter. Was würdest du denn dann tun?«
Ihre Mutter wandte den Blick ab und sah hinüber zur Bucht, wo gerade ein Boot im Hafen festmachte. »Ich weiß nicht.«
Zum ersten Mal seit Jahren entdeckte Jude eine Gemeinsamkeit mit ihrer Mutter. Sie beide sahen Veränderungen in ihrem Leben entgegen, den natürlichen Konsequenzen des Alterns. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Jude Menschen hatte, die sie liebte. In dieser Hinsicht war ihr das Leben ihrer Mutter eine Warnung. »Du würdest dich niemals zur Ruhe setzen«, wiederholte sie.
»Du hast natürlich recht. Dann lass uns jetzt essen. Ich hab nur noch vierzig Minuten. Im Ernst, Judith, du solltest versuchen, pünktlicher zu sein …«
Die verbleibende Zeit verbrachten sie mit quälendem Smalltalk, bei dem keine der anderen zuhörte. Zwischen den einzelnen Bemerkungen dehnte sich endloses Schweigen aus, eine Stille, die Jude viel zu sehr an ihre einsame Kindheit erinnerte. An Jahre, die sie auf ein freundliches Wort von dieser Frau gewartet hatte. Als es endlich überstanden war, verabschiedete sich Jude und verließ die Galerie.
Draußen blieb sie seltsam beunruhigt stehen. Ihre Mutter hatte mit der Frage nach ihren Zukunftsplänen einen wunden Punkt getroffen, und es ärgerte Jude, dass es sie überhaupt kümmerte. Sie ging die geschäftige Straße hinunter zu ihrem Wagen. Sie war fast da, als sie einen Blick in ein Schaufenster warf und erstarrte.
Dort, in einer gläsernen Vitrine, lag ein wunderschöner Goldring.
Sie betrat das Geschäft, um ihn sich genauer anzusehen. Er war hinreißend, eine perfekte Mischung aus massiv und raffiniert, modern und zeitlos. Die Form war leicht asymmetrisch mit einem dreieckigen Flügel an der oberen Kante. Der Künstler musste das erhitzte Metall irgendwie um eine runde Form geschlungen und es dann zusammengedreht haben, um den breiten Reif mit einem komischen kleinen Schweif zu versehen. Die leere Fassung für den Stein war ebenfalls leicht verrutscht.
Jude sah auf. Daraufhin durchquerte eine ältere Dame mit eleganter Frisur fast lautlos das Geschäft und trat würdevoll an den Verkaufstisch. »Haben Sie etwas gefunden?«
Jude zeigte auf den Ring.
»Ah ja. Ein exquisites Stück.« Die Verkäuferin schloss die Vitrine auf und holte den Ring heraus. »Ein Basrah. Ein Einzelstück.« Sie gab ihn Jude, die ihn sich über den Zeigefinger streifte.
»Das wäre ein wunderbares Geschenk für meine Tochter. Zum Schulabschluss. Was wäre Ihrer Meinung nach wohl der passende Stein dafür?«
Die Frau runzelte konzentriert die Stirn. »Wissen Sie, ich habe zwar keine Kinder, aber wenn ich meiner Tochter einen solchen Ring kaufen würde, wollte ich wohl, dass es ein ganz besonderes Erlebnis wird. Vielleicht könnten Sie beide gemeinsam den Stein aussuchen.«
Die Idee gefiel Jude. »Wie viel soll er kosten?«
»Sechshundertfünfzig Dollar«, antwortete die Verkäuferin.
»Aua.«
»Vielleicht möchten Sie sich noch andere …«
»Nein. Ich möchte diesen Ring. Könnten Sie mir auch ein paar Uhren zeigen? Für meinen Sohn …«
Jude verbrachte eine halbe Stunde in dem Geschäft, überlegte sich die passenden Gravuren, bezahlte dann und ging.
Sie fuhr zum Hafen und erwischte noch die Nachmittagsfähre. Kurz vor vier war sie wieder auf Pine Island und bog in die Night Road ein.
Zu Hause traf sie auf Mia, die mit ihrem Laptop am Esstisch saß und sich etwas ansah.
»Ich hab in Unsere kleine Stadt übertrieben«, sagte sie unglücklich. »Warum hat mir das keiner gesagt? Die USC wird es hassen.«
Jude ging zu ihr und stellte sich neben sie. »Zeig doch mal die Balkonszene aus Endstation Sehnsucht . Die wird sie umhauen.«
Mia nahm die CD heraus und legte eine andere ein.
»Wie war’s heute in der Schule?«
Mia zuckte mit den Schultern. »Mrs Rondle hat mit uns ein Pop-Quiz veranstaltet. Langweilig. Das
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