Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
an der Haustür klopfte. Sie wischte sich über die Augen und ging in der Erwartung zur Tür, eine weitere Freundin mit einer Tupperdose zu sehen, doch dort stand ein großer distinguierter Mann mit blauem Nadelstreifenanzug und grauen Haaren.
»Hallo, Mrs Farraday. Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern. Mein Name ist Dennis Uslan, ich bin der für Ihren Fall zuständige Staatsanwalt. Meine Nichte Helen war in Zacharys Stufe.«
Jude atmete geräuschvoll aus. Sie hatte nicht mal bemerkt, dass sie die Luft angehalten hatte. »Ja, Dennis. Natürlich erinnere ich mich an Sie. Sie haben uns bei dem Bau des neuen Footballfelds im Rotary Park geholfen.«
»Das stimmt. Es tut mir leid, wenn ich einfach so vorbeikomme, aber Ihr Telefon scheint abgestellt zu sein.«
»Wegen der Reporter«, erklärte sie und trat zurück. »Die rufen ständig an und wollen einen ›Kommentar zur Tragödie‹. Kommen Sie doch herein.« Sie führte ihn in den Wohnbereich, wo die Sonne durch das Panoramafenster schien. An diesem strahlenden Sommertag war die Aussicht auf den Sund spektakulär.
Dennis hatte gerade Platz genommen, als Miles in Joggingshorts hereinkam.
»Miles«, sagte Jude. »Dies ist Dennis Uslan. Er ist der für unseren Fall zuständige Staatsanwalt.«
Miles sah Dennis an. »Ich wusste gar nicht, dass es einen Fall gibt.«
Dennis stand auf. »Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Der MADD und die Gemeinde machen mir mächtig Druck, Alexa Baill wegen Trunkenheit am Steuer und fahrlässiger Tötung vor Gericht zu stellen. Natürlich ist ein Prozess eine langwierige und schmerzhafte Angelegenheit, daher wollte ich wissen, wie Sie dazu stehen.«
»Was würde dann mit Lexi geschehen?«, fragte Miles.
»Sollte sie verurteilt werden, könnte sie bis zu fünfzehn Jahre ins Gefängnis kommen, obwohl das natürlich die Höchststrafe wäre. Sie könnte jedoch genauso gut für ›nicht schuldig‹ befunden werden oder mit einer geringeren Strafe davonkommen. Aber wie Sie sich auch entscheiden, für die Familie des Opfers ist es immer hart.«
Bei dem Wort Opfer zuckte Jude zusammen.
»Ich glaube nicht, dass es irgendjemandem hilft, wenn Lexi ins Gefängnis kommt«, meinte Miles. »Wir müssen sie nicht bestrafen, sondern ihr verzeihen. Vielleicht könnten andere Jugendliche aus ihrem Fehler lernen? Sie könnte doch …«
»Ihr verzeihen?« Jude traute ihren Ohren nicht.
»Mrs Farraday«, sagte Dennis, »was möchten Sie denn?«
Jude wusste, was sie jetzt hätte sagen sollen – was sie auch vor der Tragödie gesagt hätte, weil sie daran geglaubt hatte: dass Miles recht hatte. Nur Vergebung konnte Judes Schmerz lindern.
Aber jetzt war sie eine andere Frau. »Gerechtigkeit«, entgegnete sie schließlich und sah Miles’ enttäuschten Blick. »Welche Mutter würde das nicht wollen?«
In den neun Tagen seit dem Schulabschluss hatte Lexi sich in eine verlorene Seele verwandelt. Als sie am Montagmorgen zur Arbeit in der Eisdiele erschienen war, hatte man ihr (freundlich, aber entschieden) erklärt, sie sei gefeuert. Versuch, mich zu verstehen , hatte Mrs Solter gesagt, im Moment sind eine Menge Leute sehr gegen dich eingenommen. Es wäre schlecht fürs Geschäft, wenn ich dich weiter hier arbeiten ließe.
Danach war Lexi zu Hause geblieben und hatte ein Buch nach dem anderen verschlungen. Zum ersten Mal seit Jahren ließ sie sich wieder von Jane Eyre trösten. Sie las es gerade, als es an ihrer Tür klopfte.
»Lexi?«
»Ja?«
»Dein Anwalt ist hier.«
Lexi legte ihr Buch beiseite und ging ins Wohnzimmer.
»Man hat Anklage gegen Sie erhoben«, sagte Scot, noch bevor Lexi sich setzen konnte. »Trunkenheit am Steuer und fahrlässige Tötung. Die Anklageerhebung ist am Mittwoch. Wir plädieren auf ›nicht schuldig‹ und warten auf einen Gerichtstermin.«
»Nicht schuldig?« Lexi versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie wusste nicht mal, was sie denken oder fühlen sollte.
»Die Frage ist nicht, ob Sie gefahren sind oder Mia gestorben ist. Hier geht es darum, ob Sie vor dem Gesetz verantwortlich sind. Sie hatten einen Unfall. Sie haben keine Straftat begangen. Also gehen wir folgendermaßen vor …«
Nach dem Wort »verantwortlich« hörte Lexi schon nicht mehr zu. Plötzlich kam sie sich vor wie ihre eigene Mutter, die sich vor der Verantwortung drückte. »Nein«, sagte sie scharf.
Scot sah sie an. »Was: nein, Lexi?«
»Ich werde auf ›schuldig‹ plädieren«, erklärte Lexi.
»Auf gar keinen Fall«,
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