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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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einem Hochwasser retten wollen. Die Idee, Sofas aufzuladen, finde ich gut. Wenn ich bei Oma bin, sitze ich immer auf Opa Slavkos Sofa. Wenn ich fernsehe, wenn ich esse, wenn ich schlafe und wenn ich hören will, ob mein Herz stehen geblieben ist. Die Ladas und die Yugos sind dermaßen voll beladen, dass die Unterböden bei der Tankstelle über den ausgebauchten Asphalt schleifen. Diese Straße bringt sie nach Titovo Užice, vielleicht sogar nach Belgrad oder nach Bulgarien, und wenn sie früher abbiegen, nach Veletovo. Aber etwas sagt mir, da will gerade niemand hin. Wo sie alle hinwollen, wissen Edin und Zoran nicht, meine Eltern auch nicht, und als ich gestern nach der Schule Kostina, den Schulhausmeister, fragte, wohin es in den Urlaub gehe, lachte er nervös, als hätte er Angst vor mir.
    Edin und ich verbrachten gestern den ganzen Nachmittag vor der Tankstelle. Jeder in Višegrad kennt die Straße dort, man geht vom Gas, und der Auspuff bleibt dran. Gestern schien es aber, als hätten die Leute ihre Straßen vergessen : schwer beladen rasten sie über die Hubbel, und die Unterböden krachten so laut, dass eine alte Frau im Haus gegenüber ein Kissen auf den Sims legte und sich aus dem Fenster lehnte, um nichts zu verpassen. Am frühen Abend fuhr lange Zeit niemand mehr mit Koffern auf dem Dach
vorbei. Ein Specht flog vorüber, und ich musste an die einen und die anderen Vögel denken. Die einen Vögel überwintern hier trotz der Kälte, die anderen Vögel fliegen in die Wärme. Sitzen die einen Vögel auf den Oberleitungen und sehen den anderen Vögeln hinterher wie wir den Autos? Bekommen sie ein mulmiges Gefühl, wenn die anderen Vögel von südlichen Orten singen – jetzt aber schnell in die Sonne, Nester zwischen Kokosnüsse hauen und nur noch Mandarinen fressen? Verdrehen sie die Augen und singen: ihr eingebildeten Formationsflieger! Die anderen Vögel kümmert es nicht, dass die einen Vögel dableiben, sie pfeifen ihnen die Meinung: ihr könnt doch auch, anstatt euch die Schnäbel abzufrieren, und ich fragte Edin: können Vögel eigentlich die Augen verdrehen ?
    Der Golf von Danilo Gorki näherte sich der Tankstelle so schnell, dass Edin und ich aufstanden und einige Schritte weg von der Straße machten. Danilo ist unser Nachbar, Sohn der alten Mirela, und Kellner im Restaurant Mündung. Ein junger Mann, den die halbe Stadt kennt, weil seine letzte Freundin ihm einen Abschiedsbrief schrieb, nachdem sie sich von ihm getrennt hatte. Der Brief bestand aus einem Satz, den sie mit Wandfarbe auf die Straße unter Danilos Fenster schrieb.
    Der Unterboden von Danilos Golf krachte über die größte Wölbung. Er hielt an und trat gegen den Auspuff, der jetzt nicht mehr zu seinem Golf gehörte. Edin und ich gratulierten einander, als wäre uns und unserer Straße gerade etwas Großes gelungen. Über die fluchte jetzt der wütende Danilo, Most, Loch, Schweinedarm und Mütter kamen vor. Wir grüßten ihn überschwänglich, als er, den Auspuff hinter sich her ziehend, die Tankstelle betrat. Die alte Mirela stieg aus, stellte sich an den Straßenrand und sah zurück zur Stadt, als würde sie auf jemanden warten. Eine Stunde später konnten sie und ihr Sohn weiterfahren.
    Edin spuckte durch die Zähne, sah Danilos davontuckerndem Golf hinterher und sagte in Richtung Titovo Užice, in
Richtung Belgrad, in Richtung Bulgarien: du, Aleks, ich glaube, die fliehen.
    Ich widersprach nicht. Müdes Vogelgezwitscher umgab uns in der Dämmerung. Die rennen davon, sagte Edin leiser und zupfte sich Steinchen aus der Handfläche, die sich hineinbohrten, da er sich auf die Hände gelehnt hatte.
    Aber wovor?, fragte ich.
     
    Danilo, an dir ist vom Hirn zum Schwanz alles winzig!
     
    Herr Fazlagić wendet sich ab, er ist zufrieden mit Edins Antwort. Arbeitshefte heraus, sagt er, ich hoffe, ihr habt gestern gut zugehört, als ich den Unterschied zwischen Ereignis und Erlebnis erläutert habe, denn eure heutige Aufgabe ist ein Aufsatz zum Thema: »Eine schöne Reise.«
    Mal etwas anderes als »Meine Heimat« oder »Warum mich der Blick aus dem Fenster auf meine Stadt glücklich und stolz macht« oder »Tag der Republik ist auch mein Tag«.
    Eine schöne Reise, und zwar als Erlebnis – kein Ereignis! Herr Fazlagić sah uns an. Vukoje, ab dem zwanzigsten Rechtschreibfehler lese ich gar nicht weiter. Faruk, alles was ich nicht lesen kann, gibt Punktabzug. Und Aleksandar, ich will nichts über deine Eichen entwurzelnde Ur-Oma wissen oder

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