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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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vertriebenen Bosniaken genommen. Und die sind vielleicht jetzt in den serbischen Wohnungen. Am Ende wird niemand dort sein, wo er vorher war. Auch in unserem Haus lebt eine Familie. Oma sagt, das sei in Ordnung, weil sie kleine Kinder haben. Zoran sagt, die Višegrader können die Neuen nicht ausstehen, er selbst hasse sie, so viel gesprochen hat Zoran noch nie, Zorans Hass ist groß.
    Schalke 04 ist meine Lieblingsmannschaft, ich habe einen Angelschein und mein bester Freund hier, Philipp, hat mir »Sensible Soccer« ausgeliehen, ich höre Nirvana und träume auf Deutsch. Ich träume von einem PC, damit ich Sensible Soccer wirklich spielen kann und Philipp nicht anlügen muss, wie viele Tore ich gegen Brasilien geschossen habe.
    Ich lasse mir das Haar wachsen.
     
    Viele herzliche Grüße,
Aleksandar.

Hallo. Wer? Aleksandar! So was, woher rufst du an? Nicht schlecht! Beschissen, und selbst?
    … ich hasse auch, dass das Wasser mittags abgedreht wird und dass die Laternen nicht funktionieren und dass der Strom ständig ausfällt und dass der Müll nicht abgeholt wird und dass es so kalt sein muss, hasse ich am allermeisten. Sie haben beide Moscheen niedergebrannt, niedergerissen haben sie die, und jetzt soll das ein Park sein, aber das ist kein Park, das ist eine kaputte Leere, um die vier Bänke aufgestellt wurden, und ich hasse jeden, der sich da hinsetzt, nicht mal Mister Spok tut es, und ab und zu kommt einer mit der Gießkanne vorbei, aber es will dort nichts wachsen. Du würdest sagen: eine klaffende Wunde, und dass aus einer Wunde nichts wachsen kann. Dann würdest du irgend so einen Zauberquatsch beschwören, aber du bräuchtest eine scheißmächtige Magie, um die Dinge hier besser zu machen. Die Soldaten haben einen Reigen um die Trümmer der Moschee getanzt. Ich hasse das Gymnasium, ich hasse die Lehrer dort, ich hasse es, dass wir zu vierundfünfzigst in einer Klasse sein müssen, ich hasse es, dass ich für alles anstehen muss, weil es an allem mangelt, außer an Menschen und am Tod. Ich hasse meinen Vater, ich hasse seinen Stolz und seinen Trotz und seine Prinzipien. Seit einem halben Jahr versuchen Milica und ich, ihn zu überreden, diese Hölle zu verlassen, und ich hasse es, dass er davon nichts wissen will; ich hasse, dass er eine Trafik aufgemacht hat, genau dort, wo Bogoljubs Trafik stand, aber was sollte er sonst machen: Basketballschiedsrichter sind das Unnötigste überhaupt, hier spielt niemand mehr irgendetwas, sogar die Turnhalle ist voller Leute, ich weiß nicht mal,
ob das Gefangene sind oder Flüchtlinge. Ich hasse die Soldaten. Ich hasse die Volksarmee. Ich hasse die Weißen Adler. Ich hasse die Grünen Barette. Ich hasse den Tod. Ich lese, Aleksandar. Ich lese und liebe das Lesen, der Tod ist ein Meister aus Deutschland, er ist gerade ein Weltmeister aus Bosnien. Ich hasse die Brücke. Ich hasse die Schüsse in der Nacht und die Leichen im Fluss, und ich hasse es, dass man das Wasser nicht hört, wenn der Körper aufschlägt, ich hasse es, dass ich so weit weg bin von allem, von der Macht und von dem Mut; ich hasse mich, weil ich mich oben am alten Gymnasium verstecke, und ich hasse meine Augen, weil sie nicht genau erkennen können, wer die Leute sind, die in die Tiefe gestoßen werden und im Wasser erschossen werden, vielleicht sogar schon im Flug. Andere werden gleich auf der Brücke getötet, und am nächsten Morgen knien die Frauen dort und schrubben das Blut ab. Ich hasse den Typen vom Staudamm in Bajina Bašta, der sich beschwert, man solle nicht so viele Leute auf einmal in den Fluss werfen, weil die Abflüsse verstopfen. Ich hasse die Hotels – Vilina Vlas und Bikavac, ich hasse die Feuerwehrstation, ich hasse die Polizeistation, ich hasse Lastwägen voller Mädchen und Frauen, die zur Vilina Vlas fahren, ich hasse brennende Häuser und brennende Fenster, durch die brennende Menschen vor die Gewehre springen, und ich hasse es, dass die Arbeiter arbeiten, dass die Lehrer lehren, dass die Tauben sich in die Luft werfen, und dass es so kalt ist, hasse ich am allermeisten. Weil der scheiß Schnee nichts, nichts, nichts verdeckt, wir aber unsere Augen so gekonnt verdecken, als hätten wir nur das gelernt in all den Jahren der Nachbarschaft und der Brüderlichkeit und der Einheit. Ich hasse es, dass alle alles verurteilen, dass alle alles hassen, dass alle auch im Hass die Guten sind, dass ich der Gute bin, hasse ich noch mehr als den Schnee und den serbischen Bronzesoldaten. Ich

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