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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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grund nichts zu sehen tod ist kein guter grund ich will sehen was ich koche
     
    ich will in die welt will ich
    der mistkrieg kommt mir grad recht
    mit meinem mann mit dem rafik das war ja nix
    der hat seinen gekrümmten rücken im kopf getragen sein ganzes leben war gekrümmt und geduckt das war ja nix ich will jetzt noch ein bisschen jung sein so alt bin ich nicht mit dem rafik konnt ich nur alt sein musst zuhause bleiben der hat gearbeitet und ich war daheim und er wollt nicht dass männer sehen wie schön ich mein haar hab
     
    ich will immer schönes haar das braucht pflege
     
    ich will in die welt raus und deswegen bin ich raus von rafik weil er prinzipien hatte von drina bis china
     
    ich will freundlich sein
    ich will eine unmaskierte sonne aber wer kann schon wolken aufhalten
     
    wär ich zauberer wie du wär das anders mit dem regen und
dem fortschritt und den vulkanen und megdan würde feuer spucken ganz andere sorgen hätten wir als jetzt
     
    ich will euch noch ein bisschen nützlich sein aber mir mehr
     
    ich will nicht immer zu jedem gut sein lieber warte ich
     
    ich will wissen wie du mit zwanzig bist und was du weißt so alt war dein opa als ich ihn heiraten musste
    in meinem dorf stand ein walnussbaum unter dem hat es im sommer so oft geschneit wie es unverheiratete mädchen gab ich will einen anderen mann finden oder auch nicht
     
    ich will nie wieder vieh hüten und keine höflichen vögel
     
    ich will einmal auf etwas stolz sein das ich zerbrochen hab
     
    ich will nicht an einsamkeit sterben oder an schuld oder an einer fischgräte oder an einem fluss ich will beim sterben das gefühl haben ganz viel schmuck zu tragen das ist so
     
    ich will einmal fliegen und einmal auf einen vulkan steigen und da einen stein reinwerfen.
     
    nena fatima

1. Mai 1999
    L iebe Asija, entschuldige, dass ich dir so lange nicht geschrieben habe. Bekommst du überhaupt meine Briefe? Gibt es dich? Ich schreibe weiter, ich bin in letzter Zeit ohnehin viel allein, mache mir aber nichts aus.
    Meine Eltern leben seit einem Jahr in den USA. In Florida. Für immer, erst mal. Vater hat eine Kokosnuss gepflückt und seit sieben Jahren wieder das erste Bild gemalt. Er nennt es »Selbstporträt mit Coconut« und die gewählten Farben ein Duett von Ocker und Braun auf sattgrüner Sommerwiese. Mutter fing in einer Anwaltskanzlei an, sie meint, das sei nicht schwer, die Gesetze seien viel übersichtlicher als bei uns. Sie hat sich Schlittschuhe gekauft, fährt jeden Sonntag zur Eishalle und möchte ein Footballspiel im Stadion sehen, ohne meinen Vater. Sie findet, die Spielerhosen sitzen so gut.
    Wenn sie nicht ausgewandert wären, hätte man sie nach Bosnien zurückgeschickt. Freiwillige Rückkehr nennt sich das. Ich finde, etwas Verordnetes kann nicht freiwillig sein und eine Rückkehr keine Rückkehr, wenn es sich um einen Ort handelt, dem die Hälfte der ehemaligen Bewohner fehlt. Das ist ein neuer Ort, dahin kehrt man nicht zurück, da fährt man zum ersten Mal hin. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie es wäre, in Bosnien zur Schule zu gehen. Ich sehe nur mein altes Klassenzimmer und Edin in der Bank hinter mir. Titos Bild hängt noch an der Wand. Wegen der Schule durfte ich hier bleiben, meine Eltern fanden es sinnvoll, dass ich das Abitur in Deutschland mache. Mutter schrieb mir elf Rezepte auf, zehn einfache und das Pflaumenhackfleischschnitzel. Sie erklärte mir, was Kochwäsche ist.

    Das letzte Jahr in Essen ging es uns etwas besser. Mutter kündigte eines Morgens einfach in der Wäscherei. Sie meldete sich für einen Deutschkurs an, lernte drei Monate lang jeden Tag. Danach schrieb sie siebzig Bewerbungen. Bei der einundsiebzigsten erwähnte sie nicht, dass sie Bosnierin ist und bekam einen Job als Kassiererin.
    Mit Vater sprach ich hier so selten, dass ich manchmal überrascht war, wenn ich meinen Namen in seiner Stimme hörte. Mutter war krank, dann gesund geworden, Vater still, dann älter geworden und jetzt sitzt er in der Sonne, malt wieder Stillleben und verkauft sie sogar.
    Weißt du, Asija, ich habe mir keine Mühe gegeben. Ich habe mir all die Zeit keine Mühe gegeben, nachzufragen oder überhaupt zu fragen, was meine Eltern denken oder was sie wollen oder wie ich helfen kann, damit es uns hier besser geht. Es war mir peinlich, zu ihren Vorstellungsgesprächen mitzugehen, es war mir peinlich, die an sie gestellte Frage zu übersetzen: wie gut ist Ihr Deutsch? Für meine taubstumme Nena Fatima

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