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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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habe ich mich nie geschämt, obwohl sie bei Witzen lachte und im Schlaf redete. Sie hatte hier mehr Freundinnen, als ich jemals Freunde haben werde. Sie hörte ihnen zu, wenn sie sich unterhielten, wurde um Meinung gefragt, nickte oder schüttelte den Kopf. Dann saß sie aber auf dem Bürgersteig vor dem Haus und hat sich die Zehennägel geschnitten. Über Florida hat sie sich am allermeisten gefreut. Sie steht früh auf und schwimmt im Swimming-Pool der Nachbarn jeden Tag eine Bahn mehr.
    Ich wünschte mir manchmal, dass man mich »Alexander« schreibt und oft, dass man mich einfach in Ruhe lässt. Lange Zeit dachte ich, dass ich meine Pubertät nur spiele, damit sich meine Eltern keine Sorgen machen. Irgendwann wollte ich aber wirklich keinen Krieg mehr sehen und von keinem Leiden mehr etwas wissen, von keiner Flucht.
    Heute ist 1. Mai, und Oma Katarina möchte mir ein Paket aus Višegrad schicken. Oma Katarina möchte mir immer am 1. Mai ein Paket schicken. Fotos von Tito, Opas Reden und
Orden, meine Pionieruniform. Oma erzählt mir jedes Jahr um diese Zeit, dass ich die Uniform besonders gern an kirchlichen Feiertagen getragen habe, ganze Passagen aus dem »Kapital« auswendig konnte und ihre Bedeutung verstanden habe.
    Und mein Vater kauft sich jetzt Kautabak und sagt: Kokosnüsse !, sagt: ich bin der erste Bosnier, der weiß, wie Kautabak funktioniert, und Mutter sagt: die Jacksonville Jaguars haben diese Saison ein gutes Team. Abends werden andere Bosnier eingeladen. Mothermade Ćevapčići und Supermarkt-Hamburger werden auf der Veranda gegrillt, und die Grillen zirpen, der Asphalt kühlt ab und riecht nach Zimt. Ein gewisser Dino Safirović erzählt, wie er mit seiner Truppe gegen die Serben Fußball zwischen den Schützengräben gespielt hat, wie er den entscheidenden Schuss mit dem Gesicht gehalten hat, seitdem aber keine Verschlusslaute mehr bilden kann. Er erzählt, wie er in einem hohlen Baumstamm Feuer machen wollte, in dem eine Handgranate lag, und meine Mutter sagt, dass sie mich vermisst. Sie kauft slowenischen Wein, und Vater ist der Meinung, unsere Grillen würden den amerikanischen den Arsch versohlen.
    Asija, ich wollte deinen Namen im Internet suchen und dabei ist mir aufgefallen, dass ich deinen Nachnamen gar nicht sicher weiß, obwohl ich ihn immer so selbstverständlich auf die Umschläge schrieb. Ich las seitenweise Vermisstenlisten, Asija kam zweimal vor, das hat nichts zu heißen. Ich fand immerhin heraus, was dein Name bedeutet.
    Wenn ich nach meinem eigenen Namen suche, bekomme ich einen Treffer. »Sommernachtstraum« im Schultheater. Ich habe Puck gespielt. Puck ist ein Elf, dem sein König den Auftrag erteilt, ihm eine Blume zu bringen, deren Nektar auf den Augen eines Schlafenden dafür sorgt, dass der sich in die erste lebende Kreatur verliebt, die er sieht. Keine so tolle Geschichte, aber Puck kann zaubern. Zwischendrin wird jeder mal geliebt, sogar einer mit einem Eselskopf, und alles darf ein Traum sein, wenn das Publikum es am Ende so beschließt.
Asija, ich kann Nazis weismachen, dass ich aus Bayern bin, ich sage: stamme. Ich kann mich auf Kosten der Friesen amüsieren, die sind so ein bisschen wie die Montenegriner bei uns – wenn ihr Reißverschluss heute nicht offen ist, pinkeln sie halt morgen. Ich freue mich für fünf Nationalmannschaften. Wenn jemand sagt, ich sei ein gelungenes Beispiel für Integration, könnte ich ausflippen.
     
    Asiya (Asija) w.
Als arab. Name: heilend, pflegend; Friedensstifterin.
Nach der Überlieferung der Name der gläubigen Frau des Pharaos, die Moses aus dem Nil rettete.
    Mein Vater fragt, ob ich wüsste, dass jährlich mehr Menschen von Kokosnüssen getötet werden als von Haien. Coconuts are murderers, sagt er.
    Ich beschließe, alles geträumt zu haben.
     
    Herzliche Grüße,
Aleksandar.

Aleksandar, ich möchte das Paket unbedingt – dir – schicken.
    H abe es allein – für dich – gepackt. Karl und Friedrich und Clara und Tito. Die ganze Bande ist drin. Erinnerst du dich? Du mochtest Karl. Slavkos Parteibuch möchte ich unbedingt dir schicken. Seine Festreden. Seine Aufsätze. Was für eine malerische Handschrift dein Opa hatte! Großbuchstaben wie Ranken! Niemand schreibt ja mehr mit der Hand. Bestimmt tippst auch du alles mit einer Schreibmaschine. Unanständig ist das! Wie soll man durch eine Maschine erfahren, mit wem man es zu tun hat? Oder willst du etwa nur den Lippenstift deines Mädchens küssen? Zeitungsartikel über Opa

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