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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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hasse es, dass ich mich nicht traue, den Bildhauer zu fragen, warum sein Denkmal ein Schwert trägt und kein blutiges Messer. Und ich hasse dich. Ich hasse dich, weil du weg bist, ich hasse mich, weil ich bleiben muss, hier,
wo die Zigeuner es nicht für nötig halten, ihre Zelte aufzuschlagen, wo sich Hunde zusammenrotten und niemand in der Drina schwimmen geht. Du hast mir einmal erzählt, dass du mit der Drina gesprochen hast. Spinner. Ich frage mich, was sie jetzt erzählen würde, wenn sie es wirklich könnte. Was würde sie schmecken, wenn sie einen Geschmack hätte? Wie schmeckt so eine Leiche? Kann auch ein Fluss hassen, was meinst du?
    Mein Hass ist endlos, Aleksandar. Auch wenn ich die Augen schließe, ist alles da.

16. Dezember 1995
    L iebe Asija, Onkel Miki lebt! Er ist endlich wieder zu Hause in Višegrad, er wohnt sogar in unserem Haus. Drei Jahre wusste niemand, was mit ihm war, dann schickte er einen Brief an Oma. Ihm gehe es gut, er wolle bald zurück, las uns Oma den Brief am Telefon vor. Zurück von wo, stand nicht darin. Oma erzählte, Leute hätten Miki schon ’92 in Višegrad gesehen.
    Im Hotel Bikavac?, hob Vater die Stimme, auf keinen Fall!
    Über Oma Katarina und die Telefonate mit ihr schüttelt niemand mehr den Kopf. Vater sagte einmal in den Hörer: ich weiß nicht, ich weiß einfach nicht. Er presste seine Lippen zusammen und griff sich mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel. Oma kennt keine Gegenwart mehr und hat für jeden von uns eine eigene Vergangenheit. Ich zahle den Kredit zurück, erklärt sie, den mir die Zeit gewährt hat. Jeden ereilt seine Vergangenheit in der Omaversion. Vor einem halben Jahr stellte man bei ihr astronomische Zuckerwerte fest, und die Insulin-Behandlung verwandelte ihr Leben in eine Achterbahnfahrt. Den Tagen, an denen sie am Telefon bekümmert und nachdenklich klingt, folgen aufgedrehte Anrufe bei der ganzen Verwandtschaft. Tante Taifun meint, wir würden übertreiben und alles viel zu ernst nehmen, es sei doch nett, zu erfahren, wie man früher gewesen sei. Seit Tante Taifun auch einen Anruf von Oma bekommen hat, sagt sie zu dem Thema nichts mehr.
    Gestern gab es ein Fest. Onkel Bora nannte es »Die Dayton-Flaschensitzung« und schrieb eine Rede voller Witze über Krieg, Frieden, Vegetarier und mein langes Haar. Ich kann mir schon einen Zopf machen. Mein Vater sagte: Witze über
Dayton braucht man nicht zu machen, Dayton ist der größte Witz. Ein Friedensabkommen, das die ethnische Säuberung politisch akkreditiert! Vater wird sein Leben lang fast alles sagen und fast nie etwas tun. Da sind wir uns sehr ähnlich, er und ich, bloß sage ich etwas mehr als er und tue noch etwas weniger.
    Ich stelle mir vor, dass die Freude über den Frieden bei euch noch viel größer ist. Wenn ich ehrlich bin: ich freue mich zwar auch sehr, aber jetzt habe ich Angst, was mit uns passiert. Es sieht so aus, als müssten wir zurück nach Bosnien. Ich möchte aber nicht in die Stadt zurück, aus der man alle vertrieben hat. Nicht zurückzuwollen, ist die einzige Sache, in der meine Eltern und ich einer Meinung sind. Als sie sich mit Onkel und Tante darüber unterhielten und Mutter sagte, eher krepiere ich, als den Mördern in die Augen zu sehen, stand Nena Fatima auf, schrieb »danke und auf wiedersehen« auf das Dekolletee der »TV Spielfilm«-Frau, riss das Blatt ab und klebte es sich auf die Stirn.
    Nena Fatima trägt ihr Kopftuch nur noch, wenn es draußen nieselt, und in Essen nieselt es immer. Sie hat einen Riesengarten mitten im Innenhof angelegt. Tomaten und Gurken und Paprika. Der Hausmeister war da und mit ihm die Polizei, sie sahen sich Nenas Garten an, und wir sind alle auf die Anzeige gespannt. Nena Fatima ist der einzige Mensch in der Familie, mit dem ich zurechtkomme. In den Garten kacken die ganzen Terrier von unseren Nachbarn rein, und ich esse jetzt gar keinen Salat mehr.
    Ich saß mit Nena im Garten, als sie mir ihr Geheimnis gab. Sie griff unter ihr Kopftuch und legte einen lapprigen, eingerissenen Zettel zwischen uns. Sie reichte mir einen Kamm und drehte sich um. Nenas langes Haar. Ich kämmte es. Als ich fertig war, stand sie auf und ließ den Zettel da.
     
    Viele liebe Grüße,
Aleksandar.

was ich eigentlich will
    I ch will reden wieder reden ich will reden wieder reden aber einen grund brauch ich soll ein guter grund sein das ist so
     
    ich will alles sehen
    auch im grab will ich weitersehen am liebsten auch im schlaf ich will einen guten

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