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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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trank Limonade oder las im Lexikon der Weltmusik. Francesco erklärte mir, dass Italien ein Stiefel sei. Ich malte eine Sandale, die zur Hälfte in der Adria steckte und schenkte sie ihm. Meine ersten Sätze auf Italienisch gingen so: Bella Sinjorina! Mi kjamo Alessandro. Posso offrirti una limonata? Ich sagte das zu Edin und legte die Hände auf mein Herz. Edin sah mich an, als wäre ich ein Opernsänger oder ein Japaner in Višegrad, und entfernte sich sehr wortlos, sehr langsam und sehr kopfschüttelnd. Ich übe doch bloß für Jasna, rief ich ihm hinterher.
    Ich versuchte Francesco zu erklären, dass Italiener und Jugoslawen mehr als nur Nachbarn seien, denn wer sich so etwas Schönes wie ein Meer teilt und so etwas Grässliches wie einen Zweiten Weltkrieg, der müsse zum Beispiel miteinander mehr singen. Ich weiß nicht, ob er das verstand, bei Mussolini rief er: nonono! Ich mochte es, wie konzentriert er mit dem Stift am Lineal entlangfuhr, wie dünn die Linien waren, die er zu Rechtecken schloss, oder wie er stundenlang Zahlen in den Taschenrechner geben konnte und halblaut »kvatro« sagte oder »ćinkve« oder »ćentomila«. Über »mila« freute ich mich am meisten und sagte: siehst du, Francesco, Meer, Krieg und dasselbe Wort für lieb!
    Mitte August kamen die Regen. Heftig, kurz, voraussehbar, nicht einmal die Grillen klangen überrascht, wenn es gegen das Verandadach trommelte. Wir waren still, obwohl wir viel
redeten – unsere Stimme war das Blättern im Wörterbuch, wir zeigten auf die Wörter und bildeten Sätze mit Lücken bis nach Italien.
    Es gab auch Abende, an denen wir nichts sagten, weder mit unserer Stimme noch mit der Stimme des Wörterbuchs. An einem solchen Abend schrieb ich einen langen Brief an Opa Slavko, in dem ich mich für die Stelle eines Fähigkeitenzauberers in der Partei bewarb. Dem Brief hängte ich eine Liste von Fähigkeiten an, die noch erzaubert werden müssen. Francesco trank Wein und zeichnete in seinen Plänen. Immer roch er zuerst am Wein, bevor er das Glas an die Lippen setzte, und als er mit der Arbeit fertig war, massierte er sich die Schläfen, was mich müde und zufrieden machte.
    Ein anderes Mal nahm mich Francesco auf eine Wiese an der Drina, packte silbern glänzende Kugeln aus einer schwarzen Ledertasche und begann mit ihnen durch die Gegend zu werfen. Boća, sagte er. Erbrachte mir die Regeln bei und dass man zwar Boća sagte, aber »Boccia« schrieb. Ich versuchte, Francesco zu erklären, dass wir Jugoslawen überall sparten, sogar bei unserer Schrift, und dass zwei »c« nebeneinander einfach ein »c« zu viel sind. Schon am nächsten Abend spielte Walross mit, eine Woche später waren wir zu sechst, dann zu acht. Francesco polierte die Kugeln, und Metzger Massaker sagte Dinge wie »Pallino« oder »Volo«. Hätte Francesco mehr als sechzehn Kugeln gehabt, die ganze Stadt hätte bald Boccia gespielt. Ich war immer dabei, Francesco hatte das so beschlossen, einmal wurde ich sogar nicht sehr Letzter.
    Ich schmierte mir Nivea ins Haar, damit es in die gleiche ölige Ordnung kam wie bei Francesco und lernte die Namen der italienischen Nationalspieler auswendig. Immer noch hielt er alle meine Elfmeter. Italienische Musik war langsam, und die Sänger litten sehr. Ich erfuhr, dass nicht alle Italiener schwarzes Haar haben und verriet Francesco, dass nicht alle Jugoslawen Börek mögen. Francesco roch nie nach Schweiß oder Waschmittel, dafür immer nach dem gleichen, zitronigen Parfüm. Wenn ich einmal so alt wie Francesco sein
werde, wollte auch ich Hemden mit einem Alligator darauf tragen und Schuhe, die immer glänzen, ich wollte nach der Zitrone aus einer Welt riechen, in der jedes Wort auf – i endet. Und eines Abends erzählte Čika Sefer, ein kleiner, eleganter Mann im Anzug und so etwas wie der Vizechefgenosse vom Staudamm, ausgerechnet bei uns zu Hause, dass Francesco Männer liebte. Ich schaltete den Fernseher aus. Alles wurde anders, und das Anders hatte mit Francesco zu tun. Ich hörte Čika Sefer zu und verstand nichts. Čika Sefer sorgte sich um etwas, das er Ansehen nannte und um etwas, das er Arbeitsklima nannte. Und anständig, sagte er, ist das ja wahrlich nicht. Čika Sefer amüsierte sich über Francescos ordentliches Haar, und meine Mutter war Čika Sefers Echo: anständig, sagte sie, ist das wahrlich nicht. So etwas hätte ich wirklich nie gedacht.
    Was »so etwas« und was »nie gedacht« im Schaukelstuhl, in dem Francesco die alten

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