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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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italienischen Zeitungen las? Was »so etwas« und was »nie gedacht« in unserer Straße, wo am nächsten Tag meine Mutter mit den Nachbarinnen versammelt stand und verstohlen zu Francescos Veranda sah? Was »so etwas wirklich nie gedacht«?
    Bald tuschelte jeder, und nicht wie bisher nur die Frauen, über Francesco. Krank so was, schüttelte man den Kopf, und ich lernte, dass es Lieben und Lieben gibt und dass nicht jedes Lieben ein gutes ist. Francesco fuhr weiterhin pünktlich und mit zurückgekämmtem Haar zur Arbeit, er verstand noch weniger als ich, oder es war ihm egal, und das machte mich rasend. Gut gelaunt las er mir etwas aus seiner Zeitung vor und grübelte wie eh und je über seinen blöden Plänen, auch nachdem er eines Morgens den Kratzer an seiner Autotür entdeckte, der nach Schlüssel und nach Absicht aussah. Beim Boccia spielte nur noch Walross mit. Die anderen Männer saßen auf den Bänken am Ufer, sie aßen Kürbiskerne und sahen auf den Fluss.
    Ich wurde wütend, weil nicht mehr ich meine Mutter vor Francescos Unterhemd beschützen musste, sondern meine
Mutter zu meinem Vater sagte, mich müsse man vor dem Italiener beschützen – sieh doch wie sie miteinander reden. Wütend, weil unser Wörterbuch das Wort für »so etwas wirklich nicht gedacht« nicht kannte.
    Eine Woche nach Čika Sefers Besuch saß ich mit Francesco auf der Veranda. Es gab keine Limonade, und der Kuchen war von vorgestern. Ich hustete, setzte mich auf den Schaukelstuhl in der Ecke, dann wieder an den Tisch, dann auf die Verandastufen. Ich rupfte Gras aus und zerrieb es zwischen den Handflächen, zuckte mit den Schultern, als Francesco in seinem Wörterbuch auf »was«, auf »sein« und auf »geschehen« zeigte. Ke kose sućesso, Alessandro?
    Ich blätterte zu »Entschuldigung«.
    Die alte Mirela kam auf die Veranda, sie knetete ein kariertes Geschirrtuch in den Händen und bat mich zu übersetzen: Francesco soll spätestens nächste Woche ausziehen. Ich zuckte mit den Schultern, reihte ein paar italienisch klingende Laute aneinander. Francesco fragte verwirrt wieder: ke kose sućesso?
    Ich sagte: sućesso kvatromila viel, und zu Mirela: er bittet um zwei Wochen, dann ist er sowieso weg.
    Mirela überlegte. Aber keinen Tag länger, sagte sie und nahm ihre Limonadenkaraffe mit, ihr Kuchenblech, ihr Kaffeegeschirr. Im Hinausgehen flüsterte sie mir zu: ganz schön spät, du solltest schon zu Hause sein.
    Meine Wut war jetzt etwas mit Maul und Fangzähnen und Klauen und hing, kopfüber schaukelnd, in meiner Kehle.
    Francesco hatte mir das Datum seiner Abreise an einem der schönsten Veranda-Abende aufgeschrieben, als noch nichts sućesso war; er hatte mir Fotos gezeigt, auch die von dem falsch gebauten Turm. Ich hielt den Finger darauf und fragte: tu – Ingenieur?, und wir lachten.
    Pisa, sagte Francesco, meine Višegrad! Einige Schwarz-Weiß-Bilder zeigten einen besonders großen Staudamm. Francesco wurde ernst und deutete auf den See: Lago di Vajont. Der Damm war Furcht erregend in den Himmel gezogen,
ich wusste genau, in meinem nächsten Traum vom Fallen werde ich dort oben abheben. Francesco kniff die Augen zusammen und blätterte um – zu einem Dorf, das unter Wasser stand. Dann blätterte er zu dem riesenhaften Staudamm zurück, über den riesenhaft viel Wasser geschäumt und auf das Dorf und seine Menschen geschlagen haben musste. Francesco tippte auf den Damm und sagte: mio papà.
    Am Abend, als die alte Mirela Francesco kündigte, schlich ich mich von der Veranda ohne ein Arrivederci. Ich setzte mich vor das Bücherregal und las »Das Kapital«. Aber ich las nicht wirklich. Ich dachte an Francescos Zitronenduft, an Limonade und Sommerwind im summenden Garten, und an die Nacht, als Francesco auf die Brotscheibe zeigte, die im Himmel zwischen den Kirschbaumästen hing, und sagte: la luna è molto bella!
    Ich legte mich flach auf den Boden, um zu verschwinden.
    Es gibt keine hässlichen Frauen, es gibt nur Männer, die als Jungs nicht gelernt haben, wie man richtig hinsieht, hatte mir Francesco doch am allerersten Abend zu erklären versucht! In keiner Enzyklopädie stand irgendetwas über Männerliebe und auf dem Schulhof sagten wir »Schwuchtel« zu den Schwächsten und den Blassesten. Auch ich würde bei einer Schlägerei diejenigen so beschimpfen, die ich hasste, nur dass ich Schläge einstecken mehr hasste, als Leute beschimpfen, also kam das nie vor. Ich wartete am nächsten Morgen, bis Francesco zur Arbeit fuhr

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