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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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ich.
    Hufe schlagen gegen den Asphalt und Ivo Andrić hebt ab.
    Meinst du, er schafft es?, fragt Opa und pflückt drei Tage lang Blumen für Oma.
    Schwer zu sagen.

Welches Versprechen ein Staudamm halten muss, wie die schönste Sprache der Welt klingt und wie oft ein Herz schlagen muss, um die Scham zu schlagen
    F rancesco zog gegenüber bei der alten Mirela zur Untermiete ein, und die alte Mirela packte ihre verstaubten Schminksachen aus, stellte fest, dass das Puder zerbröselt und der Lippenstift unbrauchbar war, kaufte sich noch am gleichen Tag alles neu und zupfte mit rosigen Wangen an den Tomaten in ihrem Garten herum. Aus dem Garten konnte man prima in Francescos Zimmer sehen. An lauen Sommerabenden saß Francesco auf der Veranda, saß mit einem Riesenzirkel bewaffnet über Plänen von unserem Staudamm; er trug ein Unterhemd, und auf die Veranda konnte man vom Garten aus auch prima sehen. Die Frauen aus unserer Straße, später auch aus der ganzen Stadt, kamen vorbei, um der alten Mirela mit dem Gras, den Karotten, den Gurken und dem Kirschbaum zu helfen, ein Wunder der Botanik, was aus diesem bisschen Graugrün innerhalb von einem halben Jahr erwuchs. Edin und ich nannten Mirelas Garten einen Urwald, und Edin schwor, auf einem Kürbis eine goldene Hornotter gesehen zu haben. Meine Mutter lugte hinter den Gardinen hervor, bevor sie zur Arbeit ging, weil Francesco – bevor er zur Arbeit ging – an der Kirsche in Mirelas Garten Klimmzüge machte. Die Kirsche und die Wangen meiner Mutter blühten wie selten, also beschloss ich, mich mit Francesco entweder anzufreunden, oder ihn fortzujagen.
    Eines Abends stellte ich mich an den Zaun und starrte Francescos Rücken so eindringlich an, dass mein Blick an seiner
Wirbelsäule hoch in seinen Kopf kletterte und Francesco sich umsehen musste. Ich verstand ihn nicht, er verstand mich nicht. Ich zeigte auf den Ball, dann auf ihn, und sagte: Dino Zoff. Die Wette war einfach: hielt Francesco mindestens drei meiner fünf Schüsse, durfte er bleiben. Hielt er zwei oder nur einen, musste ich seine Pläne verbrennen und seinen Zirkel und sein Unterhemd im Garten bei den Erdbeeren vergraben, danach Frösche, Tauben und Katzen in seinem Zimmer einquartieren, alles kein Problem. Ließ er aber auch nur einen einzigen Schuss absichtlich durch, wollte ich unserem Metzger, Mislav Sakić, genannt Massaker, erzählen, dass seine Frau neulich unter der Kirsche ein Sommerkleidchen trug, mit ihrem Haar spielte und sehr lachte, bevor sie sich von Francescos Unterhemd verabschiedete.
    So wurden Francesco und ich Freunde. Die unermüdlichen Gärtnerinnen und die süßen Kuchenbäckerinnen hatten keinerlei Interesse, Francesco vom Italienischen abzubringen – ganz im Gegenteil, also brachte ich ihm gleich am ersten Abend, nachdem er alle meine Schüsse mit Leichtigkeit gehalten hatte, einiges bei. »Ich heiße«, »ich bin Staudamm-Ingenieur« und »nein, bitte, ich bekomme wirklich keinen Bissen mehr runter« konnte er schon sagen. Ich zeigte in seinem Wörterbuch auf »Ehe«, auf »bisschen«, auf »Schnörkel« und auf »Augenbraue«. Dann zeigte ich auf meine Ohren und sagte: Simpatiko, was nicht gelogen war und italienisch klang. Francesco sprach mir nach: Ich. Bin. Ein. Bisschen. Verheiratet. Aber. Meine. Frau. Hat. Bei. Weitem. Nicht. So. Barocke. Augenbrauen. Oder. So. Sympathische. Große. Ohren. Wie. Sie.
    Das sagst du, erklärte ich Francesco, wenn dir eine Frau gefällt – ich zeigte auf mein Auge und luftbildhauerte die Umrisse einer Frau mit einem breiten Hintern, wie es Männer machten, nachdem sie viel Räucherfleisch gegessen hatten. Zu meiner Mutter und zu hässlichen Frauen sagst du: ich bin äußerst verheiratet, obwohl Sie äußerst freundlich sind. Ich war schließlich nicht auf Francescos Veranda gekommen, um
Limonade zu trinken – es galt einen familiären Auftrag zu erfüllen. Als uns die alte Mirela selbstgemachten Kirschkuchen auf die Veranda brachte, sagte Francesco zu ihr: obwohl äußerst freundlich. Er hatte alles verstanden. Nachdem sie gegangen war, deutete er in seinem Wörterbuch auf »hässlich«, auf »Frau«, auf »nein«, dann auf »Mann«, auf »Junge«, auf »nicht« und anschließend auf sein Auge und auf das Wort »lernen«. Francesco baute nicht nur Staudämme, er war auch ein Chefgenosse der Liebe.
    Seit diesem Abend besuchte ich ihn häufig. Das Wörterbuch lag zwischen uns auf dem Tisch, Francesco zeichnete, ich machte meine Hausaufgaben,

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