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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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weiter. Die Sonne berührte im Westen die Baumkronen, die Mücken schwirrten umher durch die ansetzende Dämmerung. Seit sich Mikimaus’ Zweimetersechs nach Kikos beiden nicht gegebenen Treffern um den besten Mann der Territorialen kümmerten, kam Kiko zu keinem Kopfball mehr. Nach dem Zusammenprall hielten sich beide die Brust, blieben sitzen. Kiko verzog das Gesicht, gut, dass man Rippen hat, sagte er, und Mikimaus nickte: ganz gut, diese Rippen. Seine Pupillen wanderten unruhig über Kikos Gesicht, er holte Luft und stieß sie wieder aus. Schon wollte der große Mann aufstehen, stützte sich mit der Faust ab. Die aber ergriff Kiko, flüsterte: ja, steh auf, mein Milan, nicht wieder sitzen bleiben, bloß nicht mehr sitzen bleiben.
    Nicht?, wunderte sich Mikimaus, sperrte den Mund weit auf und blieb beim nächsten Kopfball von Kiko zwar nicht sitzen, aber wie angewurzelt stehen, er sprang nicht hoch, Aufsetzer, Drei-zwei.
    Nach dem Anschlusstreffer wusste General Mikado alle Bemühungen der Territorialen zu verhindern, sich dem Tor seiner Mannschaft auch nur zu nähern. Jeder Zweikampf wurde als Foul gewertet, jeder Pass in die Spitze abgepfiffen, jeder Einwurf ging an seine Mannschaft, sogar offensichtliche Befreiungsschläge, die im Aus landeten.
    Zwei Minuten vor Spielende tankte sich Kiko auf halblinks durch; er mied jeglichen Körperkontakt, um General Mikado keinen Anlass zu geben, Foul zu pfeifen, wich aus, bog sich, sprang. Mit letzter Kraft flankte er vor das serbische Tor – ein ungefährlicher Ball auf den kurzen Pfosten, der rechte Verteidiger der Serben schlug jedoch ein Luftloch, Mikimaus verfehlte den Aufsetzer, der Rest – Freund und Feind – rutschte am Ball vorbei oder war zu überrascht, um überhaupt zu reagieren, und die Kugel kullerte zu Meho. Der war in der zweiten Halbzeit nur gedankenverloren über die Wiese geirrt und hatte wie hypnotisiert vor sich hingemurmelt: kann doch nicht so schwer sein, meine Audrey, nicht so schwer; man
hatte ihn vom Feld geschoben, weil er auch den eigenen Leuten im Weg stand, aber nachdem drei Spieler verletzungsbedingt runtermussten – gefoult oder von den Aus-Linien brutal zusammengetreten –, wurde er wieder auf den Platz geholt.
    Da lag also der Ball vor seinen Füßen, aber Meho sah gar nicht hin, entrückt starrte er gen Osten. Aus dem Tal war heftiges Artilleriefeuer zu hören, blechern, hohl. Verlangsamt wie eine Wiederholung im Fernsehen und als ginge ihn keine seiner eigenen Bewegungen irgendetwas an, verlagerte er das Gewicht nach links und knipste den Ball locker mit rechts hinter dem Standbein ins Tor. Für dich, sagte er mit brüchiger Stimme und langte unter sein Trikot, ein Tor für dich! Mit glänzenden Augen führte er Audrey Hepburns Foto an die Lippen, flüsterte: jetzt ist echt Hollywood, meine Audrey, eh fick mich für ein Happy End!
    1986 war Meho in den USA – seine einzige Reise in den Westen. Fünf Jahre hatte er von seinem Maurergehalt gespart, bei seinem Vater gewohnt und niemals unnötig Geld ausgegeben. Abend um Abend sah er sich amerikanische Filme an, am liebsten Thriller, Horror und Audrey. Er lernte auf Englisch zu fluchen und konnte akzentfrei Kaffee bestellen.
    Nach seinem Tor schlich Meho über den Platz, den Kopf in den Nacken gelegt. Das Spiel lief weiter, einmal traf ihn der Ball im Rücken, aber der Himmel, nicht der Ball, interessierte Meho. Jemand rief seinen Namen, we are the champions, antwortete Meho. Am Strafraum seiner Mannschaft angekommen, blieb er stehen und prüfte mit gestrecktem Arm, ob es regnete. Er rümpfte die Nase und kreuzte die Arme vor der Brust, als käme wirklich ein Regen und der wäre kalt. Jemand fiel vor seine Füße, Aufregung, Tumulte, ein Pfiff, eine Gewehrsalve.
    Warum sind meine Fingernägel nur noch dreckig? Ich würde so gern telefonieren, einmal wieder irgendjemanden anrufen. Recht laut unterhielt sich Meho mit dem Himmel, stand dabei im Wege, wurde geschubst, taumelte.

    Eine Spielertraube hatte sich um General Mikado gebildet. Erst als jemand in die Luft feuerte, nahmen die Männer Abstand. Elfmeter!, rief der General und schnappte sich den Ball. Dino Zoff schüttelte den Kopf, nie und nimmer war das Foul!, winkte er ab und fixierte den Ball, der jetzt auf dem abgeschrittenen Elfmeterpunkt lag. General Mikado trat an, nachdem er zuvor selbst auch den Gefoulten gemimt und für sich den Elfmeter gepfiffen hatte.
    Halt dein blödes Maul! Der serbische Torwart fuhr Dino Zoff von der

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