Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
Vom Netzwerk:
Seite an. Er war nach dem vermeintlichen Foul vom eigenen Strafraum über den ganzen Platz gerannt, hatte sich von einem der Soldaten am Feldrand eine Pistole geben lassen und zielte jetzt damit von der linken Tanne auf Dino. Kann sein, du hältst den Elfer, kniff er das Auge zusammen, aber hältst du auch eine Kugel?
    General Mikado grinste, hob den Daumen in Richtung seines Torwarts und lief an.
    Meho hatte dem Elfmeterschützen längst den Rücken gekehrt und entfernte sich vom Strafraum, sah nicht zurück. Vielleicht wird unten, erzählte er seiner Audrey, bloß feierlich geschossen, weil der Scheißkrieg vorbei ist. Mit dem kurzen Haar sah Audrey wie ein Junge aus. Sie trug Schwarz und lehnte sich an eine weiße Wand. Meho blickte von dem Foto auf und sah zerstreut zur Stelle, an der einige Buchen den Rand des Plateaus säumten und der Karrenweg eine enge Linkskurve um einen Felsen beschrieb, bevor der steile Abstieg ins Tal begann. Vom Osten kam Wind auf, nahm zu. Meho, schon in der Nähe der Bäume angekommen, konnte sehen, wie der Wind die Blätter erzittern ließ. Auch Meho zitterte, stärker noch, als im Wald, von Minen umgeben. Die Windböe kühlte Mehos Gesicht unter Tränen ab, die kamen, nachdem in seinem Rücken der Schuss aus der Pistole des serbischen Torwarts fiel und ein heller Schlag wie eine sehr laute Ohrfeige folgte. Es waren dieses Mal keine reißenden Fluten, aber es waren männlich viele. Eh, fick doch die Wasserhähne, murmelte Meho und rieb sich die Augen, ohne anzuhalten.

    Hinter ihm raunte die Menge, ein jubelnder Aufschrei folgte, dann Geräusche und Rufe, die der müde Meho wahrscheinlich gar nicht mitbekam und kaum hätte einordnen können, so wie er auch den serbischen von dem bosniakischen Jubel nicht hätte unterscheiden können, man freute sich hierzulande eigentlich gleich. Und auch wenn er das Tor gesehen hätte, das bejubelt wurde, es wäre für ihn unmöglich gewesen, aus dieser Entfernung mit Gewissheit zu sagen, ob der Ball sechzig oder siebzig oder sogar achtzig Meter weit geflogen war, bevor er sich ins serbische Tor senkte. Gleich würde Meho nämlich die Buchen am Ende der Lichtung erreicht haben. Er würde einen Blick ins Tal werfen, obwohl aus einer Höhe von über tausend Metern Krieg vom Frieden genauso wenig zu unterscheiden ist, wie die Worte oder das Lachen seiner Freunde von dem Lachen seiner Feinde. Aber die Aussicht war beeindruckend: unbeschreiblich schön, flüsterte Meho zu Audrey, Sekunden bevor er niedergestreckt wurde. Die Kugeln trafen die Zehn auf dem rot-weißen Trikot. Sie wurde am 29. Mai 1991 von Dejan Savićević getragen, als Roter Stern im Finale des Europapokals der Landesmeister Olympique Marseille im Elfmeterschießen besiegte. Meho hatte das Spiel zusammen mit seinem Vater gesehen. Der Empfang war schlecht, Mehos Vater musste die ganzen neunzig Minuten die Antenne in einer bestimmten Stellung über dem Kopf halten, damit das Bild nicht rauschte. Er traute sich nicht einmal, sie in der Halbzeit abzusetzen, also schmierte ihm Meho Wurstbrote und fütterte ihn. Am nächsten Tag kaufte sich Meho das Trikot mit der Zehn und seinem Vater einen neuen Fernseher.
    Der serbische Torwart hatte Meho mit seinem ersten Schuss erst Tränen in die Augen getrieben, dann mit zwei weiteren Schüssen zwei Kugeln in den Rücken. Der erste Schuss galt Dino Zoff, verfehlte ihn aber um Zentimeter und traf den Tannenpfosten. Der Torwart hatte zu früh gefeuert, der Knall lenkte General Mikado beim Anlauf ab, sein Elfmeter krachte gegen die rechte Tanne und prallte dem reglos verharrendem Dino Zoff direkt in die Arme. Der sah ungläubig von einem
konsternierten Schützen zum anderen, dann von einem Pfosten zum anderen, schließlich zum verlassenen Tor auf der anderen Seite des Feldes. Dann schlug er den Ball mit voller Wucht ab.
    Eh, fick mich doch der Orkan, so ähnlich hätte Meho die schlingernde Flugbahn des Balles für dieses Tor beglückwünscht. Mag sogar sein, dass es dieselbe Windböe war, die ihm die Tränen trocknete und dann Dino Zoffs Schuss den notwendigen Auftrieb gab, damit der Ball im serbischen Tor landen konnte. General Mikado erstarrte im Jubel der Territorialen, zögerte, offenbar unsicher, was er tun sollte.
    Unser Ball! Abstoß!, sagte er. Niemand hörte ihn, so laut war der Jubel über das Drei-vier. Abstoß, Tor zählt nicht!, rief der General lauter, Abstoß, schrie er, kein Tor! Er pfiff in die Finger, aber erst, als der serbische Torwart

Weitere Kostenlose Bücher