Wie deutsch ist das denn?!
und Geografie so abenteuerlich gewandelt, dass man ihre ursprüngliche Herkunft nur noch mit Mühe erkennt. Wer würde etwa hinter der bayerischen Vroni die griechische Pherenike ( » Siegbringerin « ) vermuten? Oder, noch bizarrer, hinter dem so knackig-deutsch klingenden Axel das hebräische Abu shalom ( » Vater des Friedens « )?
Mittlerweile scheint die Internationalität fast ihren Gipfelpunkt erreicht zu haben: Bei den Top Ten unter den deutschen Taufnamen 2012– ermittelt von der Gesellschaft für deutsche Sprache– waren bei den Mädchen geschlagene neun und bei den Jungen sogar alle zehn Namen ausländischer oder gemischter Herkunft.
Unter dem Strich lautet somit die Erkenntnis: Wir Deutsche sind nicht nur ausgesprochen international, sondern wir heißen auch so. Womit wir uns, notabene, in bester europäischer Gesellschaft befinden.
Deutsche Sprache
Frankreich trifft Anatolien
Die Sprache der Bundesrepublik Deutschland ist Deutsch–egal,was passiert. So mancher Politiker sähe das gern im Grundgesetz verankert, und wer würde es auch ernsthaft bezweifeln?
Nun ja, man kann sich schon seine Gedanken machen. Immerhin enthält der listig eingefügte Nachsatz » egal, was passiert « bereits zwei Immigranten– französische Vokabeln, die erst vor gut dreihundert Jahren nach Deutschland gelangt sind: égal und passer. Altmeister Goethe zum Beispiel, obwohl von Jugend an frankophil, hatte das Fremdwort » egal « noch gar nicht in seinem Vokabular; er verwendet es jedenfalls in seinen Werken und Briefen kein einziges Mal und schreibt stattdessen » gleichgültig « .
Schon dieses kleine Beispiel illustriert, dass Deutsch das Gegenteil einer in sich geschlossenen und womöglich » rein germanischen « Sprache ist. Vielmehr liefert es ein seltenes Musterbeispiel dafür, was Sprache eigentlich darstellt: einen lebendigen, mit der Zeit gehenden und sich wandelnden Organismus, der, ähnlich wie ein Lebewesen, ständig atmet, isst, verdaut und ausscheidet. Man könnte auch sagen: Das Deutsche ist eine äußerst leistungsfähige Verwurstungsmaschine, die sich munter einverleibt, was immer ihr in die Quere kommt. Manchmal werden ausländische Wörter auch so umgemodelt, dass sie hier wie dort funktionieren: Man nehme den italienischen attentatore, pfropfe ihm den deutschen Täter auf, und schon hat man die neue Wortschöpfung Attentäter. Oder man kombiniere das deutsche schlimm mit dem hebräischen massel ( » Glück « ) und heraus kommt das Gegenteil des Ursprungswortes, der jiddische Schlamassel. Oder wir kneten uns aus fremdländischem Rohmaterial ganz neue Begrifflichkeiten– wie Akkuratesse, Autoscooter, Bowle, Dressman, Friseur, Handy, Oldtimer, Profi, Pulli, Regisseur, Sakko, Showmaster, Simsen, Smoking, Trafo oder USB -Stick. Es ist genau diese Integrationsfähigkeit, die unsere Sprache so überaus interessant, kraftvoll und farbenreich macht.
Im Lauf der Jahrtausende ist auf diese Weise ein bunt zusammengequirlter Multikulti-Eintopf aus germanischen und romanischen Strukturen und Vokabeln entstanden– mit einer Unzahl von Fremd- und Lehnwörtern aus allen möglichen weiteren Sprachen und Ländern. Mitunter sind sie sogar über zwei oder mehr Landesgrenzen hinweg eingewandert und haben dabei ihre Gestalt und oft auch ihren Sinngehalt verändert. Ein treffendes Beispiel ist das arabische safar (ursprünglich einfach » Reise « ), das über die Swahili-Version safari ins ehemalige Deutsch-Ostafrika und von dort nach Deutschland gelangte. Eine abenteuerliche Odyssee hat auch das altindische nilas hinter sich: In der Urfassung stand es für bläulich, im Arabischen wurde es als lilak zum Wort für Flieder, im Französischen tauchte es als lilas in gleicher Bedeutung wieder auf, und schließlich landete es als lila in Deutschland. Oder, ebenfalls recht bizarr, der altnormannische trique ( » Betrug « ), der aus Frankreich über Großbritannien zu uns einwanderte und sich seit einigen Jahrzehnten in der neudeutschen Wortschöpfung tricksen wiederfindet.
Umgekehrt sind aber auch Tausende von deutschen Wörtern in die verschiedensten anderen Länder exportiert worden– und manchmal auch wieder zurück: etwa das deutsche schick, das nach längerem Frankreichaufenthalt noch schicker, nämlich als chic, in seine alte Heimat zurückkehrte. Oder das Bollwerk, das eines Tages leicht verfremdet als Boulevard nach Hause kam. Oder die Arbeit, die im Tschechischen zu Robot verballhornt wurde und in Gestalt des
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